Sammelalbum
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Aus dem Magazin "Xcentric" Ausgabe Dezember 1997
Vielen Dank an Xcentric (Ralph Otto)!
Ganz besessener Fan einer halb vergessenen Band
In seinem Beruf ist
Karsten Wagner Verwaltungsangestellter. Registratur des
Landeswohlfahrtsverband Hessen. Akten! Akten! Akten! Und immer an
den Laserkopierer denken. Aber im wahren Leben, da ist er
Musikfan. Ein spezieller dazu, der seine Vorliebe nicht gerade
mit Millionen teilt.
Kein Elvis, kein Jimi, keine Stones - er verfiel SAILOR.
--- Der
Süßwassermatrose ---
Und das mit Haut und am Oberdeck
inzwischen schon spärlichen Haaren. Seine maritime Schatzkammer
glänzt mit fünf prall gefüllten Ordnern, einer halben
Hundertschaft seemännischer Vinyle und Silberlinge (selbstredend
inklusive Bootlegs und Raritäten) sowie drei Dutzend Videos. Der
Kleiderschrank ist auch entsprechend bestückt, und natürlich
hat sich Karsten wie Georg Kajanus gelegentlich einen Anker auf
die Wange gemalt. Doch hat der 33jährige sein Lebtag noch keine
Gischt am Schnurrbart gehabt und noch nie eine Hafenspelunke von
innen gesehen. Die ozeanischen Erfahrungen des eingeborenen
Kasseläners dürften sich auf den Zissel beschränken. Dafür
erinnert er sich präzise daran, dass "anno 1976"
HR3-Moderator Werner Reincke gleich drei Stücke vom SAILOR Album
"The Third Step" durchlaufen ließ.
"Unvergesslich!"
Heutzutage unvorstellbar.
So richtig seekrank wurde unser Süßwassermatrose aber erst, als
SAILOR Anfang der 90er nach diversen Schiffbrüchen und
Meutereien wieder in Originalbesetzung an Bord gingen. Denn unser
Superfan würde bald endgültig anheuern, seine Äquatortaufe
bestehen, Kapitänskajüte und Kommandobrücke betreten dürfen.
Und sogar Hand bei der Galionsfigur anlegen, dem berühmten
Nickelodeon. Eines schönen Tages nämlich wurden Karsten und
seine mittlerweile missionierte Schwester Katrin von Bandmitglied
Henry Marsh zu einem Treffen eingeladen. Das fand dann am 30.
Dezember 1993 bei einer jener nostalgisch-grotesken Oldie Nights
statt. Im Backbordbereich der Dortmunder Westfalenhalle.
Der beginn einer kumulierenden Freundschaft. Man trifft sich
seither nach Clausthaler Art, regelmäßiger
Informationsaustausch sowieso, auch mal eben für Schlagzeuger
Grant Serpell den Sohn abholen. Eine symbiontische Beziehung.
Fahrensmann Wagner sollte denn auch gleich den offiziellen
Fanclub übernehmen. "Aber ich hatte weder Zeit noch PC, da
hat's eine Berliner Kajanus-Freundin angefangen. Seit der weg
ist, klappt nichts mehr. Die schreiben mir jetzt alle."
Alle? Noch mehr Seekranke? Tatsache, eine Liste vom 29. Februar
1996 umfasst Fans nicht nur in Alfeld, Duderstadt, Groningen,
Malmö und Aberdeen, sondern auch einen Weirdo aus der Harrison
Avenue, Redwood City, L.A..
Seefahrt tut anscheinend immer noch not. Karsten Wagner kann in
seinen bisherigen Bemühungen um ein SAILOR Comeback ("Mit
einer Stunde täglich komm' ich noch hin.") erste Erfolge
aufweisen.
Die Band kam zu einem Auftritt bei "Gottschalks
Haus-Party", der "Musikexpress" veröffentlichte
seinen Leserbrief "SAILOR setzen die Segel". Hilfreich
zeigte er sich ebenso bei der Sicherstellung unautorisierter CDs.
"Eine davon fand ich hier in Kassel."
Und immer häufiger wird Karsten Wagner bei seinem
Plattenladen-Besuch in der Mittagspause mit "Ahoi"
gegrüßt.
SAILOR
Die britische Band um Georg Kajanus, angeblich Sohn eines
russischen Prinzen, entstand aus der Hauscombo eines Pariser
Nachtclubs. Ihr Klang wurde geprägt vom selbsterfundenen
Nickelodeon, einem von zwei Personen zu spielenden Ungetüm aus
Jahrmarktsorgel, Kaschemenklavier und Synthesizer. Optisch und
musikalisch weideten sie das Klischee des einsamen Seemanns im
Rotlicht der Hafenkneipen aus. Ihren Höhepunkt hatten sie Mitte
der 70er mit den Hits "A Glass Of Champagne" und
"Girls Girls Girls". Nach Bandauflösung fabrizierte
Kajanus in den 80ern als DATA drei Technoid-Alben, während
Keyboarder Phil Pickett bei Culture Club als Mitkomponist von
"Karma Chameleon" reüssierte. 1989 kam es zum
überraschenden Comeback in Originalbesetzung, das sie mit
"The Secretary" und "La Cumbia" auch wieder
in die Single-Charts führte. Ehe Kajanus 1995 abermals von Bord
ging und durch Peter Lincoln ersetzt wurde. Eine neue CD erschien
bislang nur in Dänemark.
Der Text neben
dem Foto von Karsten und SAILOR:
19. November 1994, Hotel Mövenpick, Kassel: Dumm gelaufen. Da
kommt man extra im amtlichen Outfit - und SAILOR kommen in zivil.
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