Sammelalbum
1994


SAILOR: Traffic Jams und Champagner
Die Karriere der 1970er Rockband SAILOR, bekannt für ihren einzigartigen Karbeval-Sound. Aus 'Keep On Rockin' Nr. 7, 1994

Im Sommer 1968 gab die australische Folk-Gruppe The Seekers ihre Auflösung bekannt. Die Medien tippen, dass Eclection, eine der wenigen nicht-amerkanischen Gruppen auf dem Elektra Label, ihre Nachfolger werden würden. Eclection, mit ihrer Basis in Großbritannien aber größtenteils von "Down Under", machten eine Reihe von Singles, 'Nevertheless' wurde oft gespielt, und ein Album, verkauften sich jedoch schlecht. In 1969 gingen sie auseinander, ihre Mitglieder zu verschiedenen Zielorten. Schlagzeuger Gerry Conway und Gitarrist Trevor Lucas gingen zu Fairport Convention, Sängerin Sandy Denny zu Fotheringay, alle drei endeten später zu verschiedenen Zeitpunkten bei Fairport, während Bassist Georg Hultgren seine glorreichen Momente in seiner eigenen Band hatte, SAILOR.
Georg wurde in Norwegen geboren, und bevor er sich in England niederließ, war er im Alter von 18 nach Kanada ausgewandert, ohne in der Lage zu sein, auch nur ein WOrt Englisch zu sprechen. Nach dem Ende von Eclection traf Georg (von nun an als Mr Kajanus, oder wenn man muss, Georg Johan Tjegodiev-Sakonski Kajanus bekannt) in Paris den ehemaligen englischen Schuljungen Henry Marsh, Chemiestudent und ehemaligen Geno Washington Mit-Musiker Grant Serpell, und den in Deutschland geborenen Schauspieler Phil Pickett, der in Birmingham und den USA gelebt hatte und Songs für Percy Sledge und Arthur Conley geschrieben hatte. Sie platzierten ihre Band in "einem losen musikalischen Arrangement mit diversen Musikern, die in verschiedenen Nächten" im Le Matelot Club gespielt hatten, bis dieser in 1971 abbrannte.
Sie gingen getrennte Wege, und Georg wurde, in seinen Worten, "ein kommerzieller Songschreiber". Im Sommer 1971 schrieb eine seiner Kompositionen, 'Flying Machine', Geschichte dadurch, dass sie die erste Cliff Richard Single wurde, die es nicht in die britischen Top 30 schaffte (sie erreichte Nr. 37). Einige Jahr später stiße er wieder mit Phil zusammen, und als Duo nahmen sie ein Album, 'Hi Ho Silver', auf dem kurzlebenden Signpost Label auf. Eine Sache führte zur nächsten, und alle vier Musiker kamen auf permanenter Basis wieder zusammen. Georgs umfangreiches Schreib-Talent sicherte, dass ihnen nie das Material ausging. "Keiner von uns wollte eine weitere Rock Gruppe gründen," sagte er. "Wir wollten alle etwas anderes machen. Ich schrieb gerade ein Musical, dass niemals aufgeführt wurde, alles über Rotlichtviertel, und viele der Songs stammen daraus."
Sie gingen in 1974 zu Epic und nahmen gerade ihre erste LP aus, als sie einen Auftritt bei BBC TVs 'In Concert' Reihe bekamen, gefolgt von diversen Touren als Vorgruppe von Kiki Dee, danach von Steve Harley and Cockney Rebel. Steve war von Anfang an ein SAILOR Fan gewesen: "Er entschied, dass er uns auf jeden Fall auf der Tour dabei haben wollte, obwohl sein Publikum nicht das war, das wir als SAILOR Publikum erwarteten; doch da er so toll zu uns war und wir immer ein gutes Set spielten, wurde sein Publikum auch mit uns warm."
Das erste Album, 'Sailor', geschrieben, produziert und geleitet von Georg, wurde später im Sommer veröffentlicht. Drei der zehn Titel wurden als Singles veröffentlicht, die erste, 'Traffic Jam', war zweifelsohne eine der besten 45er des Jahres. Der Text beinhaltet eine halb-ernsthafte Nachricht über die Welt, die immer kleiner wird unter der Verherrlichung des 'Nature's 20th- century technical toy' (seiner Zeit auf jeden Fall voraus, Jahre bevor bleifreies Benzin, Abgasprobleme und die Ozonschicht sowie die berühmte M25 zu Themen wurden). Sie waren so schön gestaltet, dass es erstaunlich erscheint, dass sie von jemandem geschrieben wurden, der in seiner Kindheit kein einziges Wort Engilsch konnte. Auch die Produktion war clever, mit einer Zeile über die '18th-century cobblestone streets', gesungen mit einem Percussion Effekt, der den Klang von Pferdehufen simulierte.
Zwei weitere Singles wurden von diesem Album veröffentlicht, das langsame, schnulzige 'Blue Desert', mit Referenzen zu 'Betty Grable on the wall, keep my cabin warm from Casablanca down to Rio', und der flotte Titelsong, der sehr gut die Besetzung der Gruppe wiederspiegelte mit der 12-saitigen Gitarre (Georg), Drums (Grant) und Nickelodeon. Das Instrument, designed und konstruiert von Georg (kannten seine Fähigkeiten eigentlich keine Grenzen?), wurde gleichzeitig von zwei Seiten von Henry und Phil gespielt. Es beinhaltete einen Orgel-Effekt, der mechanisch durch das Piano Keyboard erzeugt wurde, ein elektrischen Glockenspiel, einen Keyboard Bass mit einer Synth-Verbindung, sowie weiter Apparaturen.
Das Album erweckte ein Konzept-Gefühl mit der Basisgeschichte eines Matrosen, der nach dem Andocken seines Schiffes in die Stadt kam. 'The Girls of Amsterdam' war prinzipiell ein Waltzer mit Kirmesorgel. ELO sagten einmal, dass sie dort weitermachen wollten, wo die Beatles mit 'I Am the Walrus' aufgehört hatten; für ELO, lest SAILOR, und für 'Walrus', lest 'Being For the Benefit of Mr Kite', von 'Sergeant Pepper'. Ein weiterer Song feiert die kontroverse 1920er Tänzerin Josephine Baker. Georgs Texte waren größtenteils Vignetten von alten Kinofilm-Titeln; lauf Phil lernte er einen Großteil der englischen Sprache, in dem er als Kind in Norwegen amerikanische Filme ansah, und sie hinterließen bei ihm einen bleibenden Eindruck.
Die Musik passte perfekt zu den Texten - ein happy-go-lucky, fröhlicher Karneval-Sound. "Wir sind laut, aber unser Rhythmus ist das komplette Gegenteil zum Rock," sagt Georg. "Wir versuchen immer eine intime Atmosphäre mit dem Publikum zu kreieren anstatt einfach nur unser Ding zu machen. Rock Bands neigen dazu, das Publikum anzuschreien, während wir mit ihnen sprechen." Die Atmsphäre wurde durch das zum generellen Konzept passenden Bühnenbild unterstützt, und es beinhaltete die Silhouette einer Hafenstadt, Palmen und eine Lampe in der Ecke. "Wir wollten klarstellen, dass die Musik anders war und nicht in das Teenybop-Feld eingeordnet werden," sagte Phil. Der Sommer 1975 war der Höhepunkt der Bay City Rollermania, und SAILOR wollten nicht das selbe unbeständige Publikum ansprechen.
Die Hauptteil der britischen Presse zeigte sich amüsiert, wenn nicht von Grund auf feindseelig. 'Traffic Jam' wurde seit der Veröffentlichung in 1974 viel auf Radio Luxembourg gespielt, und obwohl es im Juni 1975 wieder aktiviert wurde, zufällig zum Start ihrer ersten alleinigen UK Tour, schaffte der Song es nicht in die Radio 1 Playlist oder in die Top 50. Sein kosmopolitischer Sound fand eher Anklang in Europe, der Absatz war besonders groß in Belgien und Holland. Colin Irwin vom 'Melody Maker', einer der ersten Kritiker, der überzeugt wurde, kommentierte, die Musik sei "trotz der Frische in den kontinentalen Anklängen und nahen Harmonien vielleicht ein bisschen zu süß und zerbrechlich, um das volle Drama und den Charakter der extrem guten Texte hervor zu bringen."
Max Bell von 'NME' brachte eine bessere Kritik von ihrem Auftritt beim Geleen (Süd-Holland) Festival ungefähr zur gleichen Zeit: "Das Hauptthema der Matrosen in der Stadt auf der Suche nach den Mädchen ist ziemlich kitschig, doch, wie alle guten simplen Ideen, sehr gut ausgeführt; es funktioniert. Marsh und Pickett reiten jeder auf einer Seite des zusammengeschusterten Nickelodeons und hämmern die Hölle aus dessen voller Tricks steckenden Keyboards. Serpell gab gekonnt den Takt an, während Band-Mentor Kajanus unüberhörbar auf der 12-Saitigen klimperte und exzellent sang. Wenn man die Zeit bedenkt, das Wetter und die mittelmäßige Akustik legten sie wirklich einen stürmischen Auftritt hin. Das holländische Publikum ist meistens so aufnahmefähig wie eine Herde nasser Fische, doch SAILOR bekamen ihre hart erarbeite Anerkennung. Marshs Humor zwischen den Nummern ging größtenteils bei diesen fremdländischen Ohren verloren; doch die, die ihn verstanden, grinsten freundlich, wie Ausländer es immer tun, wenn man ihnen eine typische Scherzfrage stellt."
Die britische Tour half dabei, ihre Gefolgschaft zu erweitern, und die Gruppe war voller Selbstvertrauen als sie ihre zweites Album, 'Trouble', später im Jahr aufnahmen. "Bryan Ferry wird sterben wenn er diese Aufnahme hört!" begann die 'Melody Maker'-Kritik ihrer nächsten Single, 'A Glass Of Champagne', veröffentlicht im November 1975. Ein sich konstant wiederholender schneidender Piano-Akkord lässt sofort den Vergleich zu 'Virginia Plain' aufkommen, doch trotz der rhythmischen Ähnlichkeiten war SAILORs fröhlicher Sound kaum zu vergleichen mit Roxy Musics elegant stilisierter Fusion von Rock und Elektronik. Nationale und Radiostationen liebten es, und nachdem es im folgenden Monat in die Charts auf Platz 44 einstieg, ging es im Januar 1976 direkt auf Platz 2.
"Ich schrieb 'Champagne' absichtlich als einen Hit in England und nun werde ich angegriffen, weil ich angeblich von anderen Gruppen klaue," sagt Georg reumütig. "Ich habe versucht einen kommerzielleren Song zu schreiben, und mir wurde vorgeworfen, zu klingen wie die Sparks und Roxy, doch ich habe nicht absichtlich von ihnen abgeschrieben. Vorher war ich mir nie bewusst, dass ich Singles schreiben konnte."
Die anderen neun Titel auf 'Trouble' weiten das Basisthema des ersten Albums aus, zeigen aber auch, dass Georg seinen Schreibstil mühelos anderen musikalischen Rhythmuswelten anpassen kann. 'Trouble in Hong Kong' hatte ein östliches Gefühl, was die Geschichte des Songs unterstrich, während 'Panama' Latino-Stil hatte, und 'Coconut' hatte ein offensichtliche karibisches Gefühl. 'The Old Nickelodeon Sound' war ein nostalgischer Walzer wie er besser kaum sein konnte, und 'People in Love' zeigte, dass er auch starke Balladen schreiben konnte. Das lustige 'Girls Girls Girls' gab ihnen einen zweiten Hit und erreichte Platz 7 im Frühjahr. 'Trouble' blieb acht Wochen lang in den Albumcharts, obwohl es nie höher kam als Platz 45. Zwischenzeitlich hatte Elektra im Dezember 1975 Eclections 'Nevertheless' wiederveröffentlicht, was immer noch nicht die Charts erreichte.
Vielleicht nicht überraschend waren SAILOR schnell Gefangene ihrer eigenen Einzigartigkeit. Das Grundkonzept war immer noch vorhanden, aber es ließ sich nur schwer ausweiten. Das dritte Album, 'Third Step', wieder komplett von Georg geschrieben und im Oktober 1976 veröffentlicht, war wieder das Gleiche - Songs über Frauen, Wein und das Leben an den Docks, und genauso ansprechend, schaffte es es trotzdem nicht so hoch. Der Charm schien abzuschwächen. Die erste Single, 'Stiletto Heels' war eine 'NME' Single der Woche, doch trotz großzügigem Airplay floppte sie. Der Nachfolger von dem Album, 'One Drink Too Many', brachte sie Anfang des nächsten Jahres zu 'Top of the Pops', schaffte es aber nur auf Platz 35, ihr letzter UK Auftritt. Diverse andere Titel waren potentielle Singles, besonders 'Two Ladies on the Corner', obwohl es thematisch wahrscheinlich einen Radiobann zur damaligen Zeit verursacht hätte. Georg war ehrlich über seine Inspiration: "Ich finde Rotlichtviertel extrem romantisch. Einige Menschen finden das sehr grob, aber es ist ein sehr ehrlicher Ort - es ist offensichtlich, was los ist und nach was die Menschen dort suchen."
Es bedürfte radikalem Umdenken. In 1977 kam Punk auf, obwohl die meisten Single-verkaufenden Künstler entweder schwarze Sänger oder clevere weiße Performer wie die Bee Gees waren, die erkanten, in welche Richtung der Wind wehte und ihre musikalische Strategie entsprechend planten. SAILOR waren eine von vielen Bands, die ihrem Stil mehr "Disco" verleihen wollte, und ihre viertes Album, 'Checkpoint', veröffentlicht im Oktober 1977, ließ Georg sich dem musikalischen Leiter Thor Baldursson ergeben, der auch für Donna Summer gearbeitet hatte. Obwohl der alte SAILOR Sound durchschien - bei Songs wie 'Joe's Pianola', war das grundsätzliche Ergebnis eine unbequeme Hochzeit von Stilen und klang wie ein offenkundiger Fall von "auf den Wagen aufspringen". "Das Ende einer jeden Band in kreativer Weise," kommentierte eine Kritik im 'NME', in Addition zu der Identität der Gruppe, die "zu einem Minimum reduziert wurde, und das Resultat stammt aus dem selben Disco Computer, den alle benutzen."
Sie nahmen sich die schlechte Presse offensichtlich sehr zu Herzen, denn in 1978 gingen sie zurück zu ihrem alten Stil. Epic bemerkte, dass sie offenbar den Gipfel erreicht hatten und es nun wieder bergab ging, zumindest in Großbritannien, und veröffentlichte eine 'Greatest Hits' Compilation. Sie beinhaltete zwei neue Singles, 'The Runaway' ond' All I Need Is A Girl'. Es waren gute Aufnahmen, aber klangen eher wie runderneuerte Versionen von vergangenem Ruhm, und vor allem das letzte kam rüber wie 'A Glass Of Champagne' Part 2.
Eine neue Single in 1978, 'Stay The Night' wurde produziert von Georg aber zur Abwechslung von Henry und Grant geschrieben. Sehr kommerziell, mit Anklängen an Mike Batt, bewies es, dass Georg nicht der einzige talentierte Songschreiber in der Gruppe war. Die B-Seite stammte von Phil. Würde das Elternalbum, 'Hideaway', eine eher demokratische Balance an Input sehen?
'Hideaway' wurde nur ein Europa veröffentlicht. Die Gruppe hielt zu ihrem kontinentalen Gefolge, und ein unbeständiges englisches Publikum hatte ihnen ihre obligatorischen Andy Warhol fünfzehn Minuten des Ruhmes gegeben und sich dann anderweitig umgesehen. Doch ihr Einfluss hatte seinen Spuren auch bei Abba hinterlassen, deren Frühjahr 1979 Hit 'Chiquitita', mit seinen Drehleier-Passagem am Ende wurden auf jeden Fall mehr als nur ein bisschen durch sie beeinflusst.
Ein weiteres SAILOR Album, 'Dressed for Drowning', wurde Anfang 1981 bei CBS/Epic's Unterlabel Caribou veröffentlicht. Phil und Henry waren Teil der radikal veränderten Besetzung, doch Georg war nirgendwo zu sehen.
Georg gründete das Duo DATA mit Frankie Boulter, allerdings ohne Erfolg. Phil machte es besser. In 1984 schrieb und nahm er das ITV Olympic Games Thema auf und wurde Mitglied bei Culture Club als deren zeitweises fünftes Bandmitglied, co-schrieb und spielte Keyboards bei 'Karma Chameleon', der best-verkauftesten UK Single von 1983 mit Top Chart-Positionen in diesem und dem folgenden Jahr. Ein paar Jahre später produzierte er Aufnahmen für Thereze Bazar von Dollar und die unterschätzten Terraplane, die in 1990 mit veränderter Besetzung als die erfolgreicheren Thunder wieder auftauchten.
In 1991 waren SAILOR wieder zurück, in der Originalbesetzung und mit einer neuen Veröffentlichung, einfach genannt 'Sailor', bei RCA. Die zehn Titel beinhalten beinahe identische Neuaufnahmen von 'Champagne' und 'Girls', neben acht neueren Songs von Georg, immer noch in dem gleichen alten Karneval-Stil. Keiner davon erreichte den Standard von 'Traffic Jam', aber es war erfrischend, den Sound wieder zu hören. Es war keine EIntagsfliege, denn in 1992 folgte 'Street Lamp'. Georgs Ohr für Text-Rhythmik - eher wie eine männliche Version von Gloria Estefan und Miami Sound Machine - passt perfekt in den Dancefloor-Beat, und in 'Precious Form' kann er immer noch klasse eingängige Pop-Klänge kreieren, während er auch mit starken Balladen wie 'Lovers Blues' und 'When My Ship Comes In' daher kommt.
Es ist schade zu sagen, dass SAILORs Renaissance bisher eines der best gehüteten Geheimnisse des Jahrzehnts zu sein scheint. Ich bin nur zufällig auf die erste dieser CDs gestoßen, als ich bei Tower Records, Piccadilly, gestöbert habe, und RCA scheint sich mit den Veröffentlichungen auf den Hauptteil Europas zu konzentrieren. 'Street Lamp' wurde in Studions in London und Hamburg aufgenommen und abgemischt, und eine UK Informations-Adresse (P.O. Box 131, Twickenham TW2 SUE) erscheint innen in der CD, also gibt es da hoffentlich noch einige Fans in Großbritannien. Vielleicht könnte ein Titel von 'Street Lamp' als SIngls veröffentlicht und mit der angebrachten Werbung den Ball wieder ins Rollen bringen?


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