Neben zahllosen
Filzköpfen hat Englands Popwelt wieder vier Pilzköpfe.
Es sind höchst ehrenwerte Herren in den Dreißigern, und
sie tragen einen ähnlich gepflegten Haarschnitt wie die
Beatles zu Beginn ihrer Ära. Was indes vor dreizehn
Jahren wegen der Länge schockte, verblüfft heuer durch
die Kürze. So ändern sich die Zeiten.
Kaum weniger Erstaunliches tut sich im Saal: Da stehen
die Fans auf den Stühlen, erpressen Zugaben von
halbstündiger Dauer, trampeln, toben, jolen - ziehen
sich anschließend die Krawatte gerade und gehen nach
Hause.
Seit zwei Jahren segelt das Quartett auf strammem
Erfolgskurs durch England und fast ebenso lange auch in
ganz Westeuropa. Die vier Pop-Opis nennen sich SAILOR, zu
gut deutsch "Seeleute". Ihre Songs - originell,
melodisch und unverwechselbar - entstammen dem Milieu der
Hafenkneipen und roten Laternen. Die erfolgreichsten:
"Girls, Girls, Girls", "A Glass Of
Champagne" und "One Drink Too Many".
Ähnlich wie Deutschlands Show-Seemann Freddy haben auch
die SAILOR nie gegen Wind und Wogen angekämpft, sondern
allenfalls jahrelang gegen ein stetes Hungergefühl. Ein
im Nachhinein gütig zu preisendes Schicksal führte Ende
der sechziger Jahre in Paris zusammen. Damals gab es in
der Seine-Metropole ein Cafe Le Matelot (deutsch: Zum
Seemann), in dem seit den dreißiger Jahren eine Band
spielte. Mit wechselnder Besetzung: Fiel einer aus, wurde
ein neuer Mitspieler angeworben.
So kamen nach und nach vier Herren zusammen, die
zufälligerweise sämtlich britische Staatsbürger waren;
teilweise nicht nur mit Musik, sondern gar mit was Blauem
im Blut.
Georg Kajanus, Jahrgang 46, hält sich beispielsweise was
darauf zugute, dass sein Opa ein leibhaftiger russischer
Prinz war. Der heutige SAILOR-Chef ist in Norwegen zur
Welt gekommen, hat seine Jugend größtenteils in Paris
verlebt, ein paar Jahre auch in Kanada und Mittelamerika.
Verschiedenen Studienfächern mochte er nicht so viel
abzugewinnen wie seinen Hobbys: dem Malen, Fotografieren
und Komponieren.
Blaublütig ist auch Henry Marsh, als einziger noch nicht
in den Dreißigern (Jahrgang 48). Er kam als zweiter Sohn
eines englischen Lords zur Welt, besuchte standesgemäß
die hochfeine Oxford-Schule und trieb sich zum Shocking
seiner Familie nach dem Examen als Tramp auf dem
Kontinent herum. Seine 1a Abstammung merkt man ihm nach
Meinung der drei anderen an: Henry trägt außer der
Nickelbrille meist eine Rose im Knopfloch, stets (auch im
Zimmer) einen Hut und fast immer einen Schlips.
Phil Pickett ist 1946 in Münster zur Welt gekommen, wo
der Papa Besatzer spielte. Nach der Schule besuchte Phil
Schauspielkurse, erlernte beiläufig fast sämtliche
Instrumente und ging mit diesem Wissen auf große
Trampreise durch Europa und Amerika.
Schließlich ist da noch Grant Serpell, der Drummer und
dreiunddreißigjährige Senior. In Frankreich ist er zur
Welt gekommen, in Kanada hat er das Laufen und in London
das ABC gelernt. Papa war Musikprofessor mit
internationalen Gastprofessuren, der Sohn schlug mehr ins
technische Fach. Studierte Chemie, dann Computertechnik -
und schließlich Taktgefühl am Schlagzeug. Der Chemie
gilt indes noch immer seine Liebe. "Eines
Tages", träumt er hoffnungsschwanger hinter seiner
Trommel, "wird die Welt von einer riesigen Erfindung
hören. Die ist dann von mir."
Feuer in der SAILOR-Kneipe. Aber das Nickelodeon
überlebt.
Zwei Jahre hatten die vier Briten Gelegenheit, sich
aufeinander einzuspielen. Dann gab's ein unschönes
Feuerchen: In einer Herbstnacht des Jahres 1971 brannte
das Café Le Matelot lichterloh. Manche Dirne verlor den
Kontaktplatz, mancher Gast den Stammhocker - und die vier
Musiker ihren Job.
Georg schrieb fortan Songs für andere, Phil wurde ein
begehrter Studiomusiker in London, Henry arbeitete als
Klavierlehrer und Grant tüftelte an der Erfindung, die
ihn berühmt machen sollte.
Doch der Ruhm kam aus anderer Richtung. Steve Morris,
Musikverlegersohn, hatte das Quartett in Paris gehört
und für so gut befunden, dass er Wiederbelebungsversuche
anstellte. Es währte allerdings drei Jahre, bis Georg
die drei Kumpel wieder ausfindig gemacht hatte.
Zu den Plattenaufnahmen schleppten die vier einen Kram
an, der altbewährte Studiomusiker das Staunen lehrte:
eine Gitarone, eine Charango, eine Veracruziana-Harfe und
eine kompliziert zu spielende 12-Saiten-Gitarre. Am
hinderlichsten war ein Gerät, das wie zwei
zusammengeklebte Klaviere aussah und das es auf der Welt
nur einmal gibt. Die SAILOR nennen es Nickelodeon: So
hieß einstmals ein automatisches Klavier, das die Saiten
mittels einer dornenbespickten Walze auslöste. Freilich
hatten die Bastler Kajanus und Serpell längst ein wahres
Wunderinstrument daraus gemacht: "Es besteht aus
zwei Pianos, zwei Synthesizern, einem elektronischen
Glockenspiel und anderen Spielereien. Wir erreichen damit
Soundeffekte, die sonst nur durch stundenlanges
Herumexperimentieren im Studio hinzukriegen wären."
So kommt aus dem seltsamen Kasten neben
"normalen" Pianotönen auf Wunsch
Drehorgelmusik oder auch das schrille Klimpern
verstimmter Westemsaloon-Klaviere.
Komponist und Texter aller SAILOR-Songs ist Georg
Kajanus. Am liebsten schreibt er über Haltlose und
Zuhälter, Abgetakelte und Lebenskünstler, Weltenbummler
und Aufschneider, leichte Mädchen und schnelle Mädchen.
Freilich fehlt der dräuende moralische Zeigefinger:
"Wir wollen nicht belehren, wir wollen fröhliche
Lieder und fröhliche Musik machen", definiert Georg
Kajanus sein Erfolgskonzept, das - wie seinerzeit bei den
Beatles - ein internationales ist: In den USA stehen
SAILOR in den Hitparaden, in der UdSSR war ein
eingeführtes LP-Kontingent bereits verschachert, ehe die
Pakete durch den Zoll kamen.
Alle vier sind übrigens verheiratet: Georg mit einer
Japanerin, Grant mit einer Französin, Henry und Phil mit
Engländerinnen.
Wünsche an die Zukunft? "Weiterhin soviel Erfolg,
weiterhin gute Ideen für Georg, vielleicht ein bisschen
mehr Ruhe und Zeit für Golf und Bootfahren",
grübelt Phil, der Clown der Gruppe. Wie wär's mit einem
Hosenbandorden wie für die Beatles? "Natürlich.
Wenn sie noch einen hat, die Queen."
Majestät darf nachschauen. Die dritte SAILOR LP
"The Third Step" - übrigens eine BUNTE-LP- ist
seit Monaten auf weltweitem Siegeszug. Gleich zwei
Singles wurden ausgekoppelt und in die internationalen
Hitparaden geschickt: "Stiletto Heels" und
"One Drink Too Many". Und während die deutsche
Phono-Akademie dem Pop-Quartett soeben den
"Deutschen Schallplattenpreis" für die beste
internationale Schlagermusik verlieh, kündigte SAILORs
Plattenfirma für "The Third Step" bereits die
nächste Goldene an.
Nach
der Show sind die rüden "Seeleute" brave
Familienväter
Phil heiratete eine Engländerin - Ann. Vor einem Jahr
kam Sohn Jack.
Grant und Michelle, eine Französin, Sohn Edmund und
Tochter Charlotte.
Seit sechs Jahren ist Henry mit Susan verheiratet. Sohn
Thomas ist zwei.
Georg ging in Paris bei Christine, einer netten
Japanerin, "vor Anker".
Der Text
neben den Fotos:
Phil Pickett ist der Ideengeber von SAILOR. Ehe es
die Gruppe gab, nahmen bereits Percy Sledge, Georgie Fame
und andere Popstars seine Kompositionen auf. Er versuchte
sich als Schauspieler und trampte jahrelang durch Amerika
- bis er bei Georg Kajanus anheuerte.
Henry Marsh ist der mit den besten Manieren. Kein Wunder:
Als Sohn eines englischen Lords war er auf den feineren
Schulen von Dorset und Oxford - und ein Schulkollege von
Prinz Charles. Zum Kummer seiner Familie trieb er sich
nach dem Examen als Tramp und Musiker herum.
Grant Serpells Schläge treffen immer - ob beim Golf,
seinem liebsten Freizeitvergnügen, oder an den Trommeln
seiner "Schießbude". Der Drummer der Gruppe
wurde in Frankreich als Sohn eines Musikprofessors
geboren, wuchs in Kanada auf und studierte in England
unter anderen Chemie.
Georg Kajanus, Enkel eines russischen Prinzen, ist der
Gründer von SAILOR und der Komponist fast aller Songs.
Seine Kreativität kennt auch zu Hause keine Grenzen. Da
betätigt er sich als Freizeit-Maler.
In Kürze gibt es Gold für die BUNTE-LP "The Third
Step" (CBS 81701).
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