Mitverantwortlich
für den großen Erfolg der Gruppe ist sicherlich die
Tatsache, dass sie enorm "camp" wirkt, dass sie
es also durch eine absichtliche und gewitzte
Überbetonung althergebrachter Stilformen geschafft hat,
eben diese Formen wieder zu aktualisieren. Georg Kajanus,
der die Seemansmasche ausarbeitete und die Band zwischen
Segelschulschiff "Gorch Fock", Krabbencocktail
und "pimps and prostitutes" (Strichjungen und
Nutten) ansiedelte, musste indes schwer kämpfen, um sein
durchschlagendes Konzept an den Mann zu bringen: Mit
seiner Plattenfirma stritt er in zähen Verhandlungen,
ehe er grünes Licht bekam. Heute, nach guten
LP-Verkäufen vor allem auf dem deutschen Markt und den
drei Riesenhits "A Glass Of Champagne",
"Girls, Girls, Girls" und "Stiletto
Heels", steht die Firma einmütig hinter SAILOR:
Erfolg schafft Anhänger und Freunde.
Man muss sich allerdings fragen, wieso Gruppen wie SAILOR
eigentlich mehr als nur ein paar tausend Platten
verkaufen. Denn ähnlich wie auch die Rollers oder Sweet
lockten SAILOR während ihrer jüngsten
Deutschlandtournee zum Beispiel nur etwa zwölfhundert
Zuschauer in die Düsseldorfer Philipshalle; wo also
blieben die Plattenkäufer? Zufallsgäste wiederum hatten
sich auch nicht versammelt: Die 1200 Mann hinter der
Band, sangen die Texte zum Teil mit, egal ob sie nun acht
Jahre jung oder fünfzig Jahre alt waren - Ungereimtes,
wohin man blickt. Georg Kajanus versteht diese Sache
selbst nicht, meint aber, diese Bandbreite der
Publikumswirksamkeit sei erfreulich und beabsichtigt. Von
Zielgruppen, wie sie doch von jeder Art
Wirtschaftsunternehmen (und was anderes ist eine
Popgruppe?) anvisiert werden, mag er nichts hören:
"Wir verstehen uns einzig als Unterhalter, und wenn
wir so viele verschiedene Leute ansprechen, ist das
einfach fantastisch."
Unterhalter
In der Tat sind SAILOR die perfektesten Entertainer, die
wohlweislich zwischen Show und Privatleben einen dicken
Strich ziehen; wie der Gitarrist von Kiss auch noch
horrorbemalt ins Bett zu gehen, ist bei SAILOR nicht
drin. Dem leicht verruchten Image der offiziellen
SAILOR-Jungs steht das stinknormale, britisch-seriöse
Gehabe abseits der Bühne gegenüber: Grant Serpell fragt
die Promo-Dame Dominica nicht nach Groupies oder Drogen,
sondern erklärt ihr in Oxford-Englisch, dass die Band
und die Plattenfirma einen Vertrag eingegangen seien, den
es halt nach besten Kräften beiderseits zu erfüllen
gelte. Wie wahr!
Die Ausgebufften
Vielleicht hängt die ganze Sache mit der Reife und der
Ausgebufftheit der Bandmitglieder zusammen. Georg (30),
Henry (28), Grant (34) und Phil (30) gehören zu einer
Altersklasse, der man Ende der sechziger Jahre nicht
über den Weg traute; trotzdem wurden sie - unter anderem
- Teeny-Stars. Ein weiterer Hauptgrund dafür: SAILOR
produziert laut Georg "contrived music",
ausgearbeitete, durchkonzeptionierte Musik ohne
Improvisation, aus festen Bestandteilen zusammengesetzt.
Und Georg als wichtigster Ideenlieferant ist intelligent
genug zu wissen, was publikumswirksam ist und was nicht.
Ich bin fast sicher, dass er schon bei der Produktion von
, "Girls, Girls, Girls" die neue Single
"Stiletto Heels" gleich mitkomponiert hat, weil
der adäquate Nachzieher eines Hits meist ebenso
erfolgreich wird. Weiteres Indiz für die durchdachte
Masche der Band könnte die berufliche Herkunft der
Matrosen sein: Georg war vormals Designer (!), Grant
Techniker, Phil Schauspieler, Henry Musiklehrer.
Das Understatement
Genau kalkuliert scheint auch das musikalische Können
der Band. Denn da stellt das Quartett gerade noch eine
Gruppe von Leichtmatrosen dar, die sich - Konzept über
alles - absichtlich einer recht mäßigen
Instrumentaltechnik befleißigt. Mein Freund Bruno, der
Schlagzeuger, bestätigte nämlich den Eindruck, dass
etwa Drummer Grant Serpell, der früher auch mal
Jazz-Rock gespielt hat, erheblich mehr kann, als die
SAILOR-Simplizitäten verlangen. Und auch gelegentliche
Gitarrenläufe oder Keyboard-Harmonien von Kajanus oder
Marsh bestätigen: Hier arbeiten relativ gute Musiker mit
absichtlichem Understatement. Bedenkt man, dass zum
Beispiel Georg Kajanus früher bei der Eclection spielte,
aus deren Reihen immerhin Trevor Lucas und Gerry Conway
später zu Fairport Convention wechselten, erhärtet sich
diese These. Georg fand hier auch einen Grund für die
große Beliebtheit seiner Gruppe speziell in der BRD:
hübsche, leichte Melodien gepaart mit simplem Rhythmus,
Radetzky-Marsch und Tony Marshall bisweilen nicht
unähnlich, sprechen wohl gerade bei uns viele Leute an.
Doch nun tritt wieder ein Phänomen auf: Dem
schmalhüftigen Musikkörper stehen eindeutig gute,
mitunter gar geistesblitzartige Texte gegenüber, die
sich der Ur-Idee nach auf einer Zeitschrift namens
"Red Light Quarter Review" (!) beziehen und in
meist geistvollen Versen von Spelunken, Matrosen, Heim
und Fernweh, teilweise leichten Mädchen und ähnlichen
Dingen dieses Genres berichten. SAILORs Textzeile
"You don't make love in Panama until you've brought
a camera", bezogen auf mittelamerikanische
"Straßenhändlerinnen", ist einfach umwerfend.
Hinzu kommt, und da sind SAILOR wirklich Pop in
Reinkultur, die konsequente Art, wie die Band sich
optisch darstellt. Henry spielt den Pokerspieler im
Nadelstreifenanzug, Grant den gutsituierten Zuhälter,
Phil läuft als Pirat über die Bühne und Georg
schließlich (bis vor kurzem noch mit Anker auf der
Wange) den unbedarften Seemann, der von seiner Braut in
Blankenese träumt, während er mit Juaniti in Bahia
Südfrüchte pflückt. Selbst SAILORs Bühnendekoration
stimmt aufs Detail: Die Palme, unter der Hans Albers und
Harry Belafonte plauderten, das sogenannte Nickelodeon
(in Wahrheit eine hochtechnisierte Keyboards-Kombination)
von Amsterdams Leidseplein, die schäbige Fassade eines
Montmartre-Cafés, dazu die Laterne, die offenbar aus
Lale Andersens Nachlass stammt.
SAILOR gaukeln das Blaue von Himmel herunter, für die
Fans ist es echt liebenswerter Schund in charmanter
Verpackung, für die anderen die totale Langeweile.
SAILOR sind die durcharrangierte Kreuzfahrt bei Harnow
& Schummel zum Pauschalpreis, den unmöglichen
Forellenfang in der Sargasso-See einkalkuliert.
Das Image
Wohin aber führt die Kreuzfahrt? SAILOR könnten eine
ansprechende Comedy-Rockgruppe werden, wenn da nicht das
Seemanns-Image, manifestiert im Gruppennamen, nicht
erheblich stören würde. Der Anker von Georgs Wange ist
schon verschwunden, aber auf der neuen LP "Third
Step" arbeitet das Quartett merklich mit
weitergehenden Themen. Laut Georg will man sich
allmählich und gefühlvoll von den Meeren dieser Welt,
weniger von Sekt und Sexualrhetorik, zurückziehen; hin
also zu neuen Ufern. Doch da bleibt die berechtigte
Frage, ob das eingefahrene Publikum die Band dort auch an
Land gehen lässt. Nichts ist für einen kreativen
Musiker hinderlicher als ein einmal festgefahrenes Image.
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