Sammelalbum
1976



Aus "Brigitte" 1976

Sie machen Musik für Leute, die keinen harten Rock mögen
"SAILOR" - eine Pop-Gruppe mit vier wohlerzogenen, netten englischen Jungs, die viel seriöser sind als manche ihrer erfolgreichen Lieder.

Eine englische Pop-Gruppe im noblen Bremer Parkhotel - da denkt man schaudernd an jene Zeiten zurück, als Mick Jagger von den Rolling Stones, einen Damenhut auf dem Kopf, durch die Halle stolzierte und mit seinen grellen Manieren die Hanseaten schockte. Doch von solchen Exzessen kann nicht die Rede sein, wenn die Musikanten der erfolgreichen Pop-Gruppe "SAILOR" zu einem Fernseh-Auftritt an die Weser kommen. Vier wohlerzogene junge Herren betreten den lichten Speiseraum, und kaum einer der Gäste blickt hoch.
Ganz unauffällig sind sie gekleidet und tragen, wie es wohl nur Engländer können, ihre sehr guten Sachen auf die lässigste Weise: Georg Kajanus, der Hauptsänger und als Texter und Komponist auch das Haupt der Gruppe, ein marineblaues Ziertuch unter weißem Hemd; Grant Serpell, der Trommler, einen Kaschmir-Pullover unter sandfarbenem Kordanzug; Phil Pickett und Henry Marsh, die beiden Pianisten, jene bequemen Sakkos, die mit Lederflecken die Ellenbogen schonen. Keiner trägt Jeans. Alle sind sie um die Dreißig, weit gereist und welterfahren. Noch ehe sie sich kennenlernten, sind sie nach Studentenart um den Erdball getrampt. Bei Georg, der aus uraltem russischen Adel kommt, ist man da fast versucht, von einer Kavaliers-Tour zu sprechen.
Erst mit eigenen Liedern kam der Erfolg
In Paris haben sie sich dann gefunden und im Cafe "Matelot" musiziert. Georg erläutert: "Nein, ein eignes Repertoire haben wir da noch nicht gehabt. Wir sind eine Art Haus-Band gewesen und haben die Sänger begleitet. Aber die Leute mochten uns. Als dann 1971 der Laden niederbrannte, lösten wir unsere Band auf".
Sie gingen nach England zurück, trennten sich, und jeder von ihnen fasste Fuß in dem bürgerlichen Beruf, der sein Studienziel gewesen war: Fotograf, Schauspieler, Musiklehrer und Mathematiker. Aber den Musikbazillus kriegt wohl keiner aus den Knochen. Phil und Georg nahmen wieder Jobs als Studiomusiker an, und als Georg auf die Idee kam, selbst Stücke zu schreiben, hatte er die vier schnell wieder zusammengetrommelt. Diese Stücke hatten es in sich, weckten alte Erinnerungen der Jungs und eroberten sich schnell das Publikum. "Ich entschloss mich einfach eines Tages, meine Weltreisen in meinen Liedern zu verwerten", meint Georg Kajanus und fügt mit wehmutigem Lächeln hinzu: "Ich bin eben weit herumgekommen."
Ihr größter Hit: "Girls, Girls, Girls"
Wenn man im Leben wie in der Kunst ständig ferne Häfen anläuft, liegt es nahe, sich ein Matrosen-lmage zu geben: Die Gruppe "SAILOR" war geboren (letzte LPs "Trouble" und "Third Step").
Von Mädchen, die in Amsterdam hinter Glasscheiben sitzen, und von Mädchen, die in Hongkong Ärger mit ihren Zuhälter haben, ist da in ihren Liedern unverblümt die Rede. "Girls, Girls, Girls" ist der Haupttreffer geworden und in der englischen Fassung unübertrefflich geblieben. Eine Wendung findet sich allerdings im (schwächeren) deutschen Text, die ziemlich genau auf den Stil der "SAILOR" trifft. Sie lautet: "Mit Charme und Eleganz."
Henry, mit seiner Nickelbrille, der Aufgekratzteste von der vieren: "Wir machen eben Musik für Leute, die es müde sind, sich die harte und schwere Rockmusik anzuhören." Das wird einem sofort klar wenn man dann mit ihnen das Fernseh-Studio betritt und einen Blick auf die Instrumente wirft. Weit und brei keine elektrisch verstärkte Gitarre, aber in der Ecke steht ein Nickelodeon. Ein liebenswert nostalgisches Gerät ist das: es besteht aus zwei Klavieren, die wirken als habe man sie mit den Rücken zusammengeleimt, so dass die Pianisten, wenn sie vor ihren Tasten sitzen, Blickkontakt miteinander aufnehmen können. "Mit diesem Instrument identifiziert man uns und unsere Musik", schmunzelt Phil und erklärt: "Nickelodeon - das ist einmal in Amerika eine rein visuelle Angelegenheit gewesen. So nannte man vor Jahrzehnten die Kino-Automaten, die in den Kneipen aufgestellt waren. Du wirfst einen Nickel in den Schlitz, und ein Film läuft ab." Den Namen haben sie nun ihrem Lieblingsinstrument gegeben, und er passt ganz wunderschön zu dem Ungetüm, das sofort alle Blicke auf sich lenkt: halb verdoppeltes Ragtime-Piano, halb Drahtkommode à la Schräger Otto. Nicht von Stürmen, sondern von freundlichen Brisen singen diese Matrosen. Zu abgeklärten Profis sind sie herangereift, und der Geduldigste ist zweifellos Grant, der Schlagzeuger, der große Schweiger mit dem Nussknackergesicht. Als die vier im Studio mal wieder eine Ewigkeit warten mussten, drohte er: "Wenn es nun nicht gleich weitergeht, kriegt ihr von mir einen Stepptanz zu sehen." Aber er drohte leise... vom Scheitel bis zur Sohle ein Süßwassermatrose bei Windstärke 3.

Der Text unter den Fotos:
links: Wo immer die Pop-Gruppe "SAILOR" Musik macht, ist ihr Markenzeichen, das Nickelodeon, dabei. Das nostalgische Ungetüm besteht aus zwei Klavieren (Foto: TV-Auftritt im "Musikladen").
mitte: Die vier von "SAILOR" (beginnend oben links): Georg Kajanus ist als Solosänger, Komponist und Texter das Haupt der Gruppe. Grant Serpell sitzt am Schlagzeug, Henry Marsh und Phil Pickett spielen das Nickelodeon.
rechts: Privat kleiden sich die "SAILOR" lässig, aber gut. Jeans sind ihre Sache nicht. Von links: Henry, Grant, Phil und Georg.

Vielen Dank an Linda Welch (UK)!


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