Sammelalbum
1976



Aus "Joker" 21/1976

SAILOR - "Der Erfolg macht uns fertig!"
Die Wahrheit über die vier Pop-Musiker, die Geld allein nicht glücklich macht

Millionen-Hits wie "A Glass Of Champagne und "Girls, Girls, Girls" haben das britische Pop-Quartett "SAILOR" über Nacht in die Charts und Klatschspalten katapultiert. Armeen von Werbeschreibern werkelten an ihrem Image. Man spricht von den netten englischen Boys, von Georg Kajanus (30, Gitarre), Grant Serpell (30, Schlagzeug), Phil Pickett (29, Piano) und Henry Marsh (27, Piano), die angeblich über Paris die Hit-Paraden eroberten.
Aber "SAILOR" dementiert: "Wir waren nur vier Wochen dort und hassen diese Stadt."
Die Unterhaltungsindustrie spricht derzeit von "Traumumsätzen".
"SAILOR" gestattet einen Blick hinter die Kulissen: "Der Erfolg macht uns fertig."
Die US-Tournee im Sommer dieses Jahres wird wohlweislich verschwiegen. "SAILOR" gesteht freimütig: "Sie war ein totaler Reinfall."
Damit nicht genug: Das JOKER-Interview während der Aufzeichnung zur ersten deutschen Fernseh-Show der "SAILOR" in Saarbrücken bringt noch mehr ans Tageslicht. Kalifornien 1966 - das ist der sonnige Teenhimmel, das Grenzland der vollkommenen Phantasie. Wo man nicht älter wird als 25, die Schule verboten ist und Coca Cola frei aus öffentlichen Brunnen sprudelt. So Rock 'n' Roll-Star Chuck Berry, mit seinem Song "The Promised Land".
Saarbrücken 1976, Fernsehstudio: fortlaufende Bilder von Sand, See und Sonne verbreiten die Atmosphäre eines Kalifornischen Comic Strip. Die Sirenenklänge der "SAILOR" sirren die goldene Version vom sonnengebräunten Surf-Sound: Tiefer Bass im Keller, torkelndes Falsett oben unterm Dach. Die "europäischen 'Beach Boys' ", sagen die einen, "triviale Nostalgie", urteilen die anderen.
"Girls, Girls, Girls!" ruft Jana Markowa (34), einzige Unterhaltungsregisseurin Deutschlands, 1968 aus der CSSR geflüchtet, die sich bereits durch Shows mit Adamo, Sergio Mendes, Baden Powell und Nancy Wilson einen Namen gemacht hat. Sie arbeitet zum ersten mal mit einer Pop-Gruppe, wagt Experimente und ermöglicht ihrem Landsmann Jaroslav Bradac, einem Kunst-Professor aus London, sein Erstlingswerk als Bühnenbildner im Fernsehen zu offerieren. Sein Ziel: Weg von der sterilen Bühnendekoration. Keine Girls bei "Girls, Girls, Girls", sondern knackige Mädchenbeine mit hohen Hacken aus Pappmache und Batterien von riesigen roten Lippenstiften, gebündelt mit grobem Seemannstau. Hier und da symbolisieren rote Orientallampen, chinesische Vogelkäfige, noble Sektflaschen und überdimensionale rotweiße Wasser-Bojen den Hauch von Seemann, Tang und Bordell-Plüsch.
Nach sechstägigen schweißtreibenden Aufnahmen bedanken sich "SAILOR" auf ihre Art: Zwei Saarbrücker Geschäfte liefern Berge von Blumen in die Dudweiler Wohnung der Jana Markowa.
Diese vermeintlich kleine Wichtigkeit bekommen die Zuschauer des 300.000 Mark kostenden Fernseh-Spektakels am Sendetag, 12. Oktober, 20.15 Uhr, ARD, allerdings nicht zu sehen. Eben so wenig, wie die Wahrheit über "SAILOR".
Die beginnt nämlich nicht im Fernseh-Studio, sondern dort, wo die Realität mittels Existenzangst plastisch wird. Georg Kajanus(30), Nachfahre von Dschingis Khan, Sohn des weißrussischen Prinzen Tjodief Skonsky, in Trondheim (Norwegen) geboren und bei seiner Mutter Johanna in Paris aufgewachsen, formuliert das so: "Um uns das Lebenstheater. Und wir sind darin verstrickt. Ich kenne einen englischen Schauspieler, der jahrelang David-Niven-Rollen gespielt hat. Aber er ist nicht mehr er selbst. Selbst in seinem Privatleben fabriziert er seine künstliche Persönlichkeit virtuos und aristokratisch weiter."
Schon sieht Georg die gleichen Gefahren für sich und seine Kollegen: "Der Erfolg frisst uns auf, seelisch wie körperlich. Er wird unsere Gesundheit ruinieren und unser bislang glückliches Familienleben zerrütten. Ich aber arbeite um zu leben und lebe nicht, um zu arbeiten."
Statussymbole als Rangzeichen, die Image prägen und Machtpositionen klären sollen, sind für "SAILOR" daher ein Greuel. Phil Pickett: "Wenn ich Haus und Auto unterhalten kann, reicht mir's."
So haben die vier musikalischen Seemänner trotz ihrer Millionen-Umsätze in Europa nie Erfolgs-Fanatismus an den Tag gelegt: Der spektakuläre Einbruch während der Juli-Tournee durch die USA ist längst verkraftet. Ihre Erfahrung: "Niemals ein Amerika-Abenteuer ohne Schallplatten-Hit. Das bringt nur Tausende von Schulden."
Lediglich im "Bottom-Line-Club", New York, und im "Troubador", Los Angeles, kamen sie an. Aber bei den Auftritten vor schwarzem Publikum blamierte sich "SAILOR" gehörig: "Das amerikanische Publikum ist total soul-und rock-orientiert", sagen die vier.
Das soll keine Anklage sein. Wenn, dann verdient sie höchstens ihre amerikanische Schallplattenfirma "Epic": "Die Firma", erbost sich Georg "wusste mit unseren Singles nichts anzufangen. Es gab kaum Promotion. Die scheinen völlig desinteressiert."
Kajanus weiß, warum er sich krank ärgert: Sämtliche Stücke von den LPs "SAILOR" (1975), "Trouble" (1976) und der neuen Langspielplatte "Third Step", die in etwa einem Monat erscheint, stammen aus seiner Feder: Ein Erfolg in Amerika aber wäre für ihn äußerst lukrativ. Allein in Deutschland verdiente Kajanus bislang rund 270.000 Mark an GEMA-Lizenzen. Nicht mitgerechnet die Rundfunk-Rechte, wo er zusätzlich noch 5,15 Mark pro Sendeminute kassiert. Seine Mitstreiter Phil Pickett, Henry Marsh und Grant Serpell aber gehen leer aus. Gibt es da keinen Streit?
"Wir haben mit Georgs Konzept großen Erfolg", geben die anderen zu, "aber wir befürchten, dass ihn sein Schaffen eines Tages ausbrennt."
Henry und Phil, der bereits für George Farne, Arthur Conley und Percy Sledge Stücke geschrieben hat, werden deshalb auf der vierten LP eigene Stücke schreiben. Das Konzept bleibt: Georg besingt weiter seine Pariser Freudenmädchen wie der venezianische Gondoliero seine Flittertouristen.
Dieses erfolgreiche SAILOR-Konzept war mithin das einzig erfreuliche aus der Seine-Metropole: Die laufend publizierten Frankreich-Märchen zerplatzten wie Seifenblasen: "Bis auf Georg ist keiner länger als einen Monat in Paris gewesen. Da hatten wir doch kaum Geld zum Essen."
Doch der Klatsch geht weiter - wie im Comic Strip. Und immer, immer wieder geht die SAILOR-Sonne auf...


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