in
Dortmund, Deutschland - 11. Oktober 1976


Location: Westfalenhalle
Bands: Smith & D'Abo, SAILOR

Zu "SAILOR" kamen Fans in Ringelpullis
1500 in Halle II waren von Pop-Gruppe begeistert

Ringelpullis, Ringelsöckchen und Seemannsmützen gab es reichlich zu sehen am Montagabend in Halle II: Dortmunds SAILOR-Fans machten ihren Lieblingen auf der Bühne ihre Aufwartung. Und die 1500 kamen auf ihre Kosten. Die vier sympathischen SAILOR (Seemann) begeisterten mit ihrer frischen und zündenden Musik und forderten Riesen-Beifall heraus.
Vor gut einem Jahr waren sie aus dem Nichts mit dem "Glass Of Champagne" (Glas Champagner) in die Hitparaden gestürmt, hatten dann mit "Girls Girls Girls" einen noch größeren Erfolg und scheinen, dem Beifall der Dortmunder nach zu urteilen, auch mit ihrer neuen Single "Stiletto Heels" genau richtig zu liegen.
Die vier Musiker, alle um die 30, die nach eigenem Bekunden dem Charme in der Musik zu mehr Recht verhelfen wollen, überzeugten als prächtige Sänger und "Herrscher" über ihre seltsamen Instrumente. Welche Gruppe der Pop-Szene hat schon ein Nickelodeon, das den Klang eines Klaviers mit dem einer Drehorgel verbindet?
Ihre Songs erzählen von der weiten Welt voller Girls, Kneipen, Abenteuer und Sex. Mit kitschiger Seemannsromantik haben die SAILOR nichts im Sinn. Sonst wären sie wohl auch nicht so weit gekommen.


Ein Konzertbericht von Ursula Porwollik:

Montag, der 11.10.1976:
Konzert meiner Lieblingsgruppe SAILOR in der Dortmunder Westfalenhalle - Ein Fanbericht aus kultigen Zeilen von Ursula Porwollik

Es wäre für andere sicher ein Tag wie jeder andere gewesen, aber für mich war er was ganz Besonderes: An diesem Montag sollte ich meine Lieblingsgruppe SAILOR in der Dortmunder Westfalenhalle sehen, und live, direkt vor unser aller Augen, sollte dies passieren....
Ich, Ursula, sollte mit meiner langjährigen Schulfreundin Sabine bei diesem Ereignis dabei sein! Ich freute mich so sehr: Endlich durfte ich Georg, Grant, Henry und Phil "so" erleben, nicht wie sonst nur im Fernsehen. Ich möchte die wichtigsten Ereignisse dieses Tages beschreiben.....
Um 20 vor sieben an diesem Morgen wachte ich auf - und war sofort hellwach, weil ich wusste, welcher Tag heute war! In der Schule dann konnte ich schon fast an nichts anderes mehr denken und von nichts sonst reden als von dem Konzert, welches an diesem Abend stattfinden würde. Die angesetzten 4 Unterrichtsstunden vergingen wie im Flug. Die dazugehörigen Hausaufgaben sollte ich noch vor dem Nachhausekommen bereits an der Bushaltestelle erledigt haben.
Meine beste Freundin Monika gab mir für Dortmund daumendrückend mit auf den Weg, unbedingt nach vorn in die erste Reihe gelangen zu können, um dort von Georg und seinen Mannen die Hand zu bekommen. Mal sehen.....
Mit Sabine vereinbarte ich kurz noch mündlich, wann ich zu ihr zu kommen gedachte. Gegen Viertel vor zwei mittags bereits wollte ich bei ihr sein.
Zuhause nach dem kurzen Mittagessen begann ich, mich anzukleiden und SAILOR-like zu "verschönern", währenddessen ich die SAILOR LP "Trouble" rauf- und runterdudelte. Hernach betrachtete ich zufrieden die Montur, die ich mir verpasst hatte: Eine schwarze Hose, ein blauweißes Streifenshirt und ein schwarzes Halstuch, was alles gut zusammen passte. Schnell noch bürstete ich meine Haare, die an diesem Tag unglaublich gut liegen sollten, was nicht immer der Fall war. Schließlich brachte ich noch meine Ankerohrringe an und schmiss mich zum Schluss in eine schwarze Lacklederjacke, die zu dieser Zeit unheimlich "in" war. Die perfekte Verkleidung! Meine Mutter hatte wohl noch nicht so bald mit meinem Aufbrechen gerechnet, wünschte mir aber auch einen schönen, hoffentlich nicht gefährlichen Abend. Die Besorgte!
Ich fuhr mit Handtasche sowie einer Plastiktüte, deren Inhalt Briefe und Geschenke für SAILOR war, also mit dem Bus los zu Sabine. Die Sonne brannte an diesem Tag, und mir in meinen schwarzen Klamotten wurde bald heiß. Bei Sabine angekommen, hatte auch sie sich schon fertiggemacht packte nur noch ein paar Sachen zusammen, und dann ging es los für uns beide. Wir erreichten den Langendreer-Bahnhof, da wir auf dem Hinweg nach Dortmund mit dem Zug fahren mussten. Für den späteren Rückweg am Abend hatte sich Sabines Mutter bereit erklärt, uns mit dem Auto vor der Halle abzuholen.
Ich fluchte; in der ganzen Eile, so stellte ich am Bahnhoffest, hatte ich meine SAILOR-Autogrammkarte zuhause vergessen, was mir später noch allerhand Trouble bereiten sollte. Darüber hinaus ärgerte ich mich darüber, dass ich auch keinen Fotoapparat dabei hatte, jedoch nicht, weil ich selbst keinen hatte - eine meiner anderen Freundinnen, die eine Pocketkamera besaß, durfte mir diese nicht ausleihen, und Sabine, die oft Vergessliche, die alles hatte, was man als Teenie so haben konnte, hatte ihre Kamera in der Hektik so zuhause liegengelassen wie ich meine Autogrammkarte. Schöner Mist!
SAILOR spukten mir schon jetzt unentwegt im Kopf herum. Dabei hatte ich die seltsamsten Vorstellungen. Ich fragte mich hauptsächlich, wie sie alle wohl in Wirklichkeit aussehen würden. Auch, wenn keine Fotos dabei von mir gemacht werden konnten.
In Dortmund angekommen, schlugen wir die Zeit bis zum Abend und dem Konzert mit einem Boutiquen - und Geschäftebummel tot, wobei wir hauptsächlich in Plattenläden endeten. Irgendwann jedoch wurden meine Füße immer schwerer und taten weh. Nachdem wir uns mit einer Pommes an einem Imbiss-Stand gestärkt hatten, setzten wir unseren Weg nun in Richtung Westfalenhalle fort. Das Konzert sollte zwar erst um 20 Uhr abends beginnen, jetzt war es kurz nach 16 Uhr - aber ich hatte keine Geduld mehr, in irgendwelchen Läden herumzulaufen. Ich wollte nur schon zur Halle. So sollte ich Sabine eilig aus den Plattenläden hetzen, in welchen wir nur nach SAILOR, Queen und dergleichen geschaut hatten (Sabine war nämlich passionierter Queenfan), und wir hatten Glück - in unserer Nähe befand sich eine Straßenbahnhaltestelle, deren Linien fast alle direkt zur Westfalenhalle fuhren....
Beim Aussteigen konnte ich wieder an nichts anderes denken, als daran, wie SAILOR wohl "in Echt" sein würden. Bald kamen die Westfalenhallen in Sicht. Sabine sollte zielstrebig darauf zustapfen, während ich zaghaft hinter ihr hertrottete. Es war zum Verzweifeln - wo nur war denn jetzt die Halle zwei? Da lag sie vor uns.
Hatte ich damit gerechnet, hier noch gar keinen anzutreffen außer uns, hatte ich mich geirrt. Zwei Mädchen standen bereits vor der Halle und warteten. Sabine und ich musterten die beiden mindestens genauso misstraurisch wie die zwei uns. Beide waren aus Wesel nach Dortmund gekommen. Die eine, größer als die andere und offenbar die Witzige von beiden, war eine blonde Schönheit, die sich uns als Gerti vorstellte -und die sich als hausgemachte Quatschtante, eine "Schnabbelschüssel", herausstellen sollte. Die andere, ruhigere - kein SAILOR-Fan, wie sich herausstellte; sie stand auf "Sweet" - war wie Gerti noch 14 und SAILOR gegenüber skeptisch. Mir und Sabine jedoch war sie sympathischer als "Schnabbelschüssel". Aber egal - ich fand es stark, dass schon welche da waren. Sabine und ich zogen es vor, noch eine Runde um die Halle zu ziehen und setzten uns dabei auf eine freie Bank. Sabine meinte zu mir, sie beneide mich darum, dass ich es so gut hätte, schon bald meine Lieblingsgruppe live auf der Bühne zu bewundern. Sie hatte "ihre" Queen bisher noch nicht live sehen können. Ich entgegnete darauf, dass sie Queen sicherlich auch bald sehen könne, ganz bestimmt.
Als Sabine und ich wieder zur Halle zurückkehrten, standen dort wieder ein paar Leute mehr, darunter auch zwei weitere "Girls". Diesmal waren es eine blonde Lockenschöne und ein kleiner "Floh" mit Anker auf der Wange als Begleiterin. Beide waren in Streifen gehüllt, so war es klar, wohin auch sie wollten. Die zwei sollten aus einem uns unbekannten Ort namens Verl stammen - wo immer das lag.
17.10 Uhr nachmittags war es gerade. Vielleicht 30 Leute oder mehr hatten sich bisher schon vor der Halle eingefunden. Ich gesellte mich mit Sabine wieder zu "Schnabbelschüssel". Wir kamen kurz ins Gespräch; auch sie stand, wie ich, insbesondere auf Georg. Von ihr erfuhr ich noch einiges - dass Georg beispielsweise eine Dauerwelle habe und dergleichen. Dieses Mädchen sollte uns jedoch mit ihren Ausführungen noch allesamt mehr als nerven.
Eine fremde Dunkelhaarige, die sich neben uns eingefunden hatte, sollte die ganze Zeit über unentwegt verträumt dahinflüstern, wie süß sie Georg doch fände. Ja, als eingefleischte Fans saßen wir wohl alle im selben Boot. Als wir es bei "Schnabbelschüssel" nicht mehr aushielten, stellte ich mich zusammen mit Sabine weiter weg, an den Rand der Halle vor eine der kleineren Pforten. Neben uns hielt sich so eine Art seltsamer Ordner auf mit einem Riesenbauch. Anscheinend spielte der sowas wie den Wachmann hier. Hinter ihm erblickte ich neuerlich das Tourneeposter von SAILOR, welches dieses Konzert hier angekündigt hatte - und das ich leider nicht besaß! Seufzend schaute ich es an. Würde es heute abend noch mir gehören? Von allen Seiten strömten die Leute jetzt langsam, aber sicher herbei. Einige ganz Verrückte hatten sich links und rechts Anker ins Gesicht gemalt, liefen mit Seemannsmützen und Gestreiftem umher. Ganz SAILOR-like. Plötzlich stieß mir Sabine ihren Arm jäh in die Seite. "Na - was würdest Du machen," begann sie, "wenn DIE jetzt hier so vorbeigefahren kämen?"
"Hör bloß auf!" stieß ich hastig hervor, denn das hätte gerade noch gefehlt. Was war das? In diesem Moment sollte ein gelber Mercedes mit Düsseldorfer Kennzeichen seelenruhig langsam herangefahren kommen, und das auch noch an dem sich mehr und mehr sammelnden Publikum vorbei. Dieser Mercedes, der etwa 10 oder 12 Meter von uns bei laufendem Motor zum Halten kam, war ein ganz neues Fabrikat, sehr fein. "Ich würde mich kaputtlachen, wenn die das jetzt wären", hörte ich Sabine mich schon wieder nerven.
Gerade wollte ich ein letztes Mal gereizt darauf eine Antwort geben, als ich plötzlich nicht mehr in der Lage war, irgendeine Antwort zu geben! Denn ich sollte direkt in ein mir wohlbekanntes Gesicht blicken, welches durch eine der Scheiben des Mercedes neugierig in unsere Richtung schaute. Das Gesicht gehörte zu einem blonden Typen, der mit einer offenbar weißgraubraunmellierten Jacke bekleidet pfiffig und frohen Mutes grinste. Den Kerl erkannte ich an seiner spitzen Nase und - seiner Nickelbrille; es gab keinen Zweifel, dass es sich um Henry Marsh handelte!
Ob das Sabine jetzt auch glaubte? Ja, sie tat es, denn in diesem Moment hörte ich sie leise kichern, während sie mich rüttelte: "Du, ich glaub, ich hab den Henry gesehen!" Ich hatte also nicht geträumt! Und wie bekloppt begannen wir, in die Richtung Henry zu starren. Tatsächlich befanden sich zusammen mit dem Fahrer des Wagens vier Männer im Fahrzeug. SAILOR!? Konnte das wahr sein?
In jenem Moment drehte sich ein dunkelhaariger Typ, der direkt vorn neben dem Fahrer saß, ebenfalls in unsere Richtung um. Sabine seufzte erschrocken - und mir verschlug es noch mehr die Sprache. Wir nahmen eine grünliche Jacke wahr, ein charmantes Gesicht, welches von einer scheinbar frischen Minipliwelle umrahmt wurde - und das Gesicht lächelte uns über die Maßen ebenfalls aus dem Mercedesfenster an: Phil Pickett?
Ja, es war tatsächlich Phil! Schnell schaute er jedoch wieder weg. War wohl schüchtern. Sabine und ich warfen uns wortlos kurze Blicke zu und starrten unsererseits weiter wie gebannt auf den Wagen und seine möglichen und unmöglichen Insassen. Seltsamerweise bekamen offenbar zunächst aber nur wir zwei, die wir gerade ja auch abseits am Rand der Halle standen, mit, was da gerade passierte. Wie groß wäre der Auflauf und das Chaos, wenn die anderen, die viel weiter weg von uns und dem Mercedes standen, von dem Wagen Notiz nahmen und spitzkriegten, wer dort drin saß!? Besser nicht dran denken!
Das hier erschien so unwirklich, dass keiner der anderen wirklich aufmerksam oder neugierig wurde. Sabine und ich gehörten zu den Gelassenen, die erstmal die Lage peilten. Und die war furchtbar. "Aller guten Dinge sind drei", dachte ich so bei mir, während ich meine Nerven sortierte, die statt Drahtseilen nur noch als zerschlissene Fädchen in mir hangen, als Sabine flüsternd bemerkte: "Ich möchte nur wissen, ob Georg oder Grant auch mit im Auto sind!"
"Sei ruhig!" versuchte ich noch mit müdem lächeln, Sabine abzublocken, um dann vollends erschlagen zu sein. Mit einer schwarzen Jacke - wird wohl auch Teil eines Anzugs gewesen sein - einer schwarzen Krawatte zu weißem Hemd, sehr schick wirkend, dazu dekoriert mit dunkler Sonnenbrille, schaute nun ER aus dem Autofenster: Georg Kajanus. Eindeutig. Jetzt wussten wir ja, wer es war.
Doch schaute Georg nicht in unserer Einbildung, nein - er war es wirklich, wie die anderen beiden auch! Ich glaubte, mir drehte sich der Magen um. Es war unfassbar! Georg schaute zu uns beiden herüber, etwas weltfremd wie aber auch verzückt. Er schien allerdings dabei relativ ernst. Sabine verfolgte dies alles und schaute alsbald mit besorgter Mine einmal zu mir und dann wieder zu Georg herüber. Es schien, als flirtete er mit uns. Wieso auch nicht?
Auch Sabine war ganz von der Lage ergriffen. Und dann: Mit einem Mal stieg der Fahrer des Wagens aus - ein witzig aussehender Spargeltarzan - und tänzelte auf unseren dicken Ordner zu. Es folgte der Hammer: Ganz leise - aber Sabine und ich sollten doch etwas mitbekommen - raunte er dem Dicken ins Ohr: "Hier sind die Musiker!" Irgendwie schienen die zwei Typen uns, die direkt dabeistanden, vollkommen zu ignorieren, im Gegensatz zu SAILOR im Mercedes.
Sabine und ich sahen uns erschrocken an. Hatten wir es nicht wahrhaben wollen, hatten wir es denn nicht die ganze Zeit vor Augen - die Gewissheit schockte trotzdem!! Ich sah derweil wieder zu Georg herüber, der noch immer lieblich in die Gegend blickte - nämlich meistens in unsere Richtung. Natürlich musste er interessiert gucken; schließlich standen alle bisher eingetroffenen Fans auch wie auf dem Präsentierteller da.
Als in diesem Moment das Auto unbewacht dastand, forderte Sabine mich schnurstracks auf: "Los doch! Hol Dir ein Autogramm!" "Ich- ich kann nicht!" verkniffen lächelnd brachte ich nur ein Stammeln heraus, obwohl ich am liebsten auf der Stelle zu dem Mercedes gerannt wäre. Sabinchen ließ nicht locker. "Wieso kannst Du denn nicht? Komm, Du holst Dir jetzt das Autogramm!" "Nein," jammerte ich verklemmt, "ich trau mich nicht, ehrlich - und außerdem außerdem habe ich keine Autogrammkarte dabei. Mist!" "Ist Doch egal". Sabine war nicht abzubringen von ihrer Idee, "Du hast ein Stück Papier und die werden doch noch wohl einen Kuli in ihrem Zigarettenfach haben!" War das zu glauben? Was wollte die Frau von mir? Aber es half nichts. Auch wenn das DIE Chance war - ich hatte zuviel Angst, und das war's. Wohl hatte ich gesehen, dass der kleine "Floh" aus Verl zwei Autogrammkarten dabei hatte. Ich hätte ihr nur schnell eine abkaufen müssen - und dann? Dann hätten alle anderen das mitbekommen, wären ausgetickt und SAILOR hätten sich die Haare gerauft! Oder hatten sie das vielleicht erwartet? Ich wusste es nicht. Ich wusste auch nicht, als was für eine Sorte Fan sie einen Angsthasen wie mich betrachten mussten, der sich noch nicht mal ein Autogramm holte! Ich konnte in diesem Moment nur einfach nichts sagen oder machen. Ich war wie gelähmt. Da konnte Sabine reden, was sie wollte, ich mich über mich selber ärgern - es war wie ein Bann, den ich nicht abstellen konnte. Aber umso intensiver starrte ich trotz allem noch immer zum Auto, aus welchem Georg Kajanus seinerseits konstant herüberblickte. Es war himmlisch; doch dann musste der Wagen leider weiter zu den Garderoben, wie wir vernahmen. Schade auch. Das war was gewesen für eine sensible SAILOR-Fan-Seele wie mich. Ich konnte in einem Moment natürlich nicht alles verpacken, was ich da gerade eben erlebt hatte, da kam gleich auch schon der nächste Clou: Ein weiteres Fahrzeug rollte an, weinrot, ein VW Bully, in welchem sich SAILORs Vorgruppe Smith & D'Abo befinden sollten, und diese begleitet von - Grant Serpell !! Der VW erregte schon mehr Aufsehen als der Mercedes; dennoch blieben die Fans auch hier ruhig, nicht ein Mädchen fing an zu kreischen. Ich war total aus dem Häuschen, konnte mich jedoch dezent beherrschen. Nicht mal mehr Sabine sollte meine innerlich überkochende Begeisterung noch mitbekommen, beschloss ich.
Nach diesen Begebenheiten kehrten Sabine und ich zu den anderen uns bereits bekannten Fans zurück. In den folgenden Minuten sollte ich registrieren, dass ein neuhinzugekommenes Mädchen aus Hagen ein "G" auf ihrem Schal eingestickt verewigt hatte. Sie reagierte ihrerseits sehr abweisend, als Gerti sie darauf ansprach, für wen das "G" denn stehen solle. Ich hatte mich derweil dann soweit gefangen, dass ich wieder alles einigermaßen klaren Kopfes mitbekam. Leider war das noch zuviel: Denn alle, die wir hier standen und noch nie was voneinander gehört hatten - so stellte ich gefrustet fest - konnten uns eigentlich nicht leiden! Irgendwie schienen wir gewissermaßen Rivalinnen zu sein - eine wollte mehr über SAILOR wissen als die andere, eine liebte Georg oder Henry oder Grant oder Phil mehr als die nächste. Die scheinbaren Gemeinsamkeiten, die notgedrungenen Gespräche - alles nur Oberfläche. Aber gut, sowas mal zu erleben. Das Leben war eben so.
Mittlerweile fror ich total. Es war kalt, so Mitte Oktober, trotz meiner Lederjacke. Immer mehr Leute gesellten sich zu uns, wie durch Zauberei strömten sie jetzt aus allen Richtungen heran. Ich freute mich immer mehr, wie voll es werden würde, doch hätte ich ebenso gern auch gewusst, wo wir im Endeffekt überhaupt sitzen sollten. Angst bekam ich, da ich doch etwas mehr vorn sein wollte, um Georg und SAILOR gut sehen zu können, und dann natürlich wegen meiner Briefe und Geschenke für jeden der SAILOR-Boys. Ich hatte echt Skrupel, weil viele Leute Karten für 20 DM gekauft hatten und ich nur für 16 DM. Wieder ein Rivalitätskampf, stellte ich fest. Und die Hallentüren waren auch noch nicht offen. Das konnte ja was werden!
Es wurde voller und voller, die Fans hysterischer und immer ungeduldiger. Einige versuchten, von drinnen möglicherweise einen Blick auf den einen oder anderen SAILOR zu erhaschen. Als ein Ordner im Innenraum der Halle beispielsweise gerade von unten die Treppe heraufkam, und einige Fans das registrierten, rief die "Kleine" aus Verl in ihrer Hysterie: "Georg, Georg - ich habe eben Georg gesehen!" Und alles schrie und starrte in dieselbe Richtung. Doch weit gefehlt! Sie hatte nur den Ordner erblickt. Wenig später passierte dasselbe vermeintlich wegen Henry. So blieb die Stimmung aufgeheizt und die Sache unheimlich spannend. Endlich machte irgendein Kerl zusammen mit einigen Kollegen die Kassenräume für die Einlösung der Karten auf. Alle stürmten an die Kassen, da jeder lediglich Kartengutscheine besaß. Als ich dann endlich unsere Karten bekommen sollte, waren die Plätze, die dazugehörten, zu unserem Leidwesen sehr weit hinten! Oh Schreck! Da setzte ich mich nie im Leben hin, soviel stand fest! Sabine auch nicht. Natürlich MUSSTEN wir woanders hin! Ordner über Ordner tauchten derweil im Innenraum auf und überwachten das allgemeine Geschehen draußen. Gegen Viertel nach Sieben öffnete endlich die große Hallenpforte! Wir strömten förmlich hinein. Es schien, als würde alle Welt zu einer Stelle hinrennen, wo es etwas umsonst gab. In der Halle sollte es Erfrischungen geben und jede Menge Spiegel, wo man sein zerzaustes und verfrorenes Äußeres wieder in Ordnung bringen konnte. Ich war überaus zufrieden mit mir, ja, ich fand, ich sah richtig gut aus an diesem Abend. Das hatte ja auch seinen Grund, und ich strahlte - wenn ich schon meinen Boys an der Bühne unter die Augen treten wollte, MUSSTE ich gut aussehen! Klar.
Erstmal stillten Sabine und ich unseren großen Durst. Danach kundschafteten wir die Halle aus. Es waren so viele Leute da, dass wir gespannt waren, welche Plätze wir ergatterten. Wir suchten auch nach Postern oder anderem von SAILOR, was sie vielleicht verkauften, doch so etwas fanden wir leider nicht. Noch immer wollte ich doch eines von den Konzertpostern ergattern, vielleicht sogar von den Hallenwänden reißen, aber das tat ich vorerst noch nicht. Zwanzig Minuten vor Acht gingen Sabine und ich dann in die Halle. Welch ein Betrieb schlug uns entgegen! Hektisch fahndeten wir nach unseren Plätzen. Als wir wie fanden, oh Graus -saßen schon ein paar Leute dort! Erst reagierten wir sauer, aber als die Platzbesetzer uns dann erklärten, dass sie von der ursprünglich 34. Reihe nach vorn gerutscht waren, und wir dies doch vielleicht auch versuchen sollten, gaben wir ihnen den Segen für unseren Platz und - machten es gleich genauso. Mal sehen, ob das funktionierte! Ich meine, wenn das ALLE so machten, konnten wir das wohl erst recht....
Zuerst schmissen wir uns in die 16. Reihe. Sabine musste da sogleich erstmal für "kleine Mädchen". Ich ebenso. Als wir danach wieder die Halle betraten, hatte ich keine Lust, mich wieder in diese auch noch grässliche 16. Reihe zu pflanzen. So ließen wir uns versuchsweise auf Plätzen in der 9. Reihe nieder. Dort war die Sicht zunächst prima, aber Sabine und ich sollten dies trotzdessen auch noch nicht für das Wahre halten. Es war noch immer viel zu weit von der Bühne weg. Bald schon fanden wir uns darum noch weiter vorn in der 6. Reihe wieder - wobei es vorerst blieb.
Ich wurde aufgeregter und aufgeregter - immer wieder ergriff ich den rechten Arm von Sabine, klammerte mich zur Beruhigung daran fest. Auch Sabine ratschte erwartungsvoll auf ihrem Stuhl hin und her. Ohne Pause sollte ich meine Tasche mit den Briefen fixieren, die bald an ihrem Ziel angelangt sein würden. Noch immer musste ich daran denken, wie Georg aus dem Mercedes zu uns herübergeschaut hatte, ebenso Phil und Henry. Und ich sah in Gedanken die kleinen Geschenke vor mir, die ich in Georgs Brief und in die Briefe der anderen hineingelegt hatte, und die ich ihnen aus meiner grenzenlosen Verehrung und Liebe heraus auf die Bühne werfen würde. Wie würden sie dies aufnehmen?
Gegen 20.05 Uhr war es soweit. Die Vorgruppe Smith & D'Abo sollte den Anfang machen. Superstark sollte ihr Auftritt sein. Währenddessen befand sich hinter ihnen auf der Bühne ein Durcheinander aus Cafe- und Striplokal-Fassaden, Kabeln und Kabelrollen, dazwischen zwei Schlagzeuge, wovon eines - das von Smith & D'Abo - später fortgeschafft werden würde. Dazu umrahmten ein paar leuchtende Kugeln die gesamte Szenerie. Natürlich sollte all das später kein Durcheinander mehr darstellen.
Smith & D'Abo gingen gegen 20.30 Uhr von der Bühne. Nun wurde also umgebaut. Was sollten Sabine und ich in den letzten Minuten noch anstellen? Doch noch wollte ich jetzt das Konzertposter holen, welches ich vermeintlich noch an der Hallentür vermutete. Aber als ich mutig und entschlossen bei den Türen angelangt war, entschlossen, mir eines der Poster zu holen - hatten irgendwelche Fans, die schneller gewesen waren, alle vorhandenen Poster schon abgehangen und genommen. Was hatte ich anderes erwartet? Schade.
Das endgültige SAILOR-Publikum für diesen Abend sollte - man lese und staune - vorwiegend aus Erwachsenen bestehen, also Leuten ÜBER 21 Jahren, Paaren sowie auch einigen Jungen- und Männergruppen. Dann erst folgten die weiblichen Fans!!
Meine Traurigkeit über das gemopste Poster verschwand, als ich Sabine nach meiner Wiederkehr in die Halle vorschlug, im Eifer des Gefechts noch einmal die Plätze zu wechseln, da ich in einer der allervordersten Reihen zufällig noch zwei freie Plätze erspäht hatte. Just hinter einer Gruppe von Jungs, von denen einer - welch Zufall - eines der Konzertposter besaß. So kam es, dass unser endgültiger Sitzplatz für das Konzert nunmehr die 3. Reihe rechts vorn sein sollte. Sabine hatte mir zuliebe noch ein letztes Mal zum Platztausch eingewilligt. Glück musste der Mensch haben! - Und ebenso dreiste Verbündete, die dasselbe taten; denn natürlich waren nicht all die getauschten oder nicht genutzten Plätze leer - es fand nur ganz allgemein in der Halle ein Platztausch statt, so, wie ich es kaum später noch einmal bei Konzerten erleben sollte. Auch sollten einige Leute es vorziehen, statt in ihren Reihen zu sitzen, lieber daneben stehenzubleiben, oder sich einen Stehplatz in der Nähe der Bühne zu sichern, was so allerdings nicht zugelassen war - zum Ärger der damit überforderten Ordner. Die Jungs vor uns in Reihe zwei stellten sich als schottische Soldaten aus einer Kaserne bei Soest "near the Moehne-See" vor. Es war witzig und seltsam für Sabine und mich, ihren Akzent zu bemerken und zu raten, ob sie Holländer oder Engländer waren. Hätten wir sie nicht gefragt - wir hätten ewig gerätselt! Gerade wollten wir angeheitert miteinander in tiefschürfende Gespräche versinken über SAILOR, Englisch und die den Schotten unbekannte Stadt Bochum, aus der wir kamen, da ging mit einem Mal das Saallicht aus!
Jetzt ging es also los! Es war Viertel vor neun.
Mein Herz schlug bis zum Hals; ich wusste, was kam. Ich schaute Sabine an, als müsse ich zu meiner Hinrichtung. "Mach jetzt die Pferde nicht scheu", war das letzte, was ich von ihr zu hören bekam, bevor sie - wie ich - zusammen mit den anderen Fans in einer übervollen Halle den Worten eines imaginären Ansagers lauschte, der vermeldete: "Meine Damen und Herren - heute Abend live hier in Dortmund - hier sind - SAILOR!!!".....
In diesem Moment schien es mir, als müsse ich zerspringen. Ich sah, wie sich der Bühnenvorhang öffnete. Irgendetwas Weißes oder Helles war in der Dunkelheit zu sehen. Ich vermutete, dass es Georgs Hemd sein musste, welches im Dunkeln auffiel. Und da ging das Licht an, während ich benommen zur Bühne starrte: Licht sollte in allen nur erdenklichen Farben auf die Bühne fallen, auf welcher von uns aus links das Nickelodeon mit zahlreichen roten und gelben Birnen befestigt war. Natürlich zierten die Cafe- und Stripfassaden jetzt als Kulisse den Bühnenhintergrund Eine große Palme befand sich direkt hinter Grant und seinem Schlagzeug. Rechts von Georg war eine Straßenlaterne aufgestellt, hinter ihm hing als Bühnenbild eine halb geöffnete Jalousie, hinter welcher ein leichtbekleidetes Mädchen hervorblinzelte.
Ich sah SAILOR; in diesem Augenblick echt und durch keine Kamera, in Wirklichkeit. Und dann sah ich auch schon Georg als ersten der Vier. Er hatte tatsächlich ein fast weißes Hemd an, eine schwarze Hose und ein schwarzes Halstuch um. Auf seinem Kopf trug er seine dunkle Matrosenmütze. Ich glaubte zu erkennen, dass Georg hier erstmalig keinen Anker auf seiner linken Wange trug, wie vorher bei Fernsehauftritten. Henry, der links an seinem geliebten Nickelodeon stand, hatte eine schwarze Jacke an, die er später noch ablegte, er trug eine weiße Hose und dazu ein weißes Hemd, was ein rotes Halstuch auffällig, doch vorteilhaft abrundete. Statt eines weißen Strohhutes hatte er diesmal einen schwarzen Hut auf. Philly Pickett, den man rechts am Bass bestaunen konnte, sah wohl am Kuriosesten aus. Er hatte einen riesigen Ohrring in seinem rechten Ohr, welcher wahnsinnig glänzte. Er sah mit einem Kopftuch bekleidet aus wie eine Putzfrau (ganz klar sollte seine Verkleidung einen Piraten darstellen)! Ein Rüschenhemd, eine schwarze Cordhose sowie ein breites rotes Band um die Taille zierten den holden Jungen außerdem. Und schließlich, doch nicht zuletzt - Grant, oder was ich von ihm vorerst ausmachen konnte: Eine weiße Matrosenmütze sollte er tragen, ein schwarzes Hemd, was seine wahnsinnige Bräune - wie machte der Junge das bloß? - noch unterstrich. Ich bemerkte abschließend, dass Grant anscheinend eine weiße Hose zu ebensolchen Turnschuhen trug. Dies alles hatte ich bereits nach wenigen Sekunden dieses Konzerts von den Boys erhascht. Ich lauschte, ganz Nervenbündel, mit welchem Song sie beginnen würden. Dies jedoch war der Anfang eines mir unbekannten Liedes; ich vernahm Klaviertöne mit lässig bekanntem Hämmerrhythmus, doch mir gefiel sofort, was ich hörte. Dann begann Georg zu singen.
Verzaubert starrte ich zur Bühne rüber, konnte es noch immer kaum fassen, dass ich das jetzt und hier erlebte. Noch immer wie in einem Traum erschien es mir. Das Lied sollte "One Drink Too Many" heißen, was ich später erfuhr, - und es war süß! Was mich anfänglich verblüffte, war die Tatsache, dass alle Vier zunächst scheinbar abwesend nur für sich selber spielten. Sie wirkten ernsthaft und konzentriert. Die Lautstärke und Akustik in der Halle hielt sich gottlob noch in Grenzen. Ich schaute mir jetzt einen nach dem anderen an. Georg wirkte schüchtern und unsicher; er brauchte offenbar eine Anlaufzeit. Grant störte sich weniger an das Geschehen; routiniert und klar trommelte er seinen Takt. Phil, der kleine Wirbelwind, war scheinbar zunächst auch noch nicht ganz locker. Er konzentrierte sich auf sein Bass. Und Henry schien seinerseits froh zu sein, das Nickelodeon bei sich zu haben, denn es half ihm ebenfalls über eine anfängliche Unsicherheit hinweg. Sie schienen nicht zu wissen, was sie hier in Dortmund erwartete. Aber jetzt schon kamen sie riesig an. Als der erste große Applaus kam, hellte sich Georg's Gesicht deutlich auf. Auch das nächste Lied, welches sie spielten, war für mich unbekannt, es hieß "Give Me La Samba". Und da war es Georg, der - noch zaghaft zwar - begann, ins Publikum zu lächeln. Ich schaute zu Sabine rüber, die schwer begeistert schaute. Auch Phil und Henry waren jetzt etwas entspannter, begannen ihrerseits, das Publikum wie befreit anzulächeln. Bei Grant kam das von ganz allein. Es war so wunderbar. Nachdem "Give Me La Samba" das letzte Eis zwischen Gruppe und Publikum geschmolzen hatte, war die Gruppe entspannt und glücklich, ihren Einstand so gut hinbekommen zu haben. Dann war Georg der erste, der - zuerst sich räuspernd - konziliant und lachend das Wort ergriff: "Guten Abend, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir freuen uns, heute abend hier bei Ihnen zu sein!" Ich sah Sabine baff an. Wie ein Nachrichtensprecher hatte Georg seine Eröffnungsansprache gemeistert. Und zwar in Deutsch! Er hatte sich als Sprachengenie wirklich Mühe gegeben. "Deutsch, Sabine - Deutsch!" ich flippte aus und schüttelte meine Schulfreundin vor Begeisterung, "ER spricht Deutsch!". Sabine grinste über alle Backen und meinte schelmisch zu mir: "Ja, ja Ursula - da vorne ist er!" und ich sah wieder nach vorn. Es war akzentfreies Deutsch gewesen! Ich war hin und weg. Dann erwähnte Georg noch, dass wir alle sicherlich wüssten, dass SAILOR auf Deutsch Matrose hieße. "Let's go back to English now..." begann Georg dann jedoch in vertrauter Weise, "the first songs we sang were from our new album 'Third Step'. The song we're gonna sing now is one you might remember - One, two three...." Er begann zu spielen, dieses Mal viel entspannter. Es war der Anfang von "The Old Nickelodeon Sound". Wow! Und sie spielten es besser als auf Platte. Als wir alle schunkelten, meinte Sabine mit überschwänglichem Lachen vor Begeisterung: "Ich glaub, ich werd' doch noch SAILOR-Fan!" Erstaunt blickte ich sie an; was hatten die Kerle nur an sich? Tja.... Als auch dieser Song beendet war, kam ein Beifall, der sich sehen lassen konnte. SAILOR freuten sich sehr.
Dann trat Georg ein wenig vom Mikro weg und stimmte die Saiten seiner Gitarre. Dafür trat nun Henry ans Mikrofon, und verkündete, nachdem er sich seiner Jacke entledigt hatte (übersetzt): "Ist hier ein Mädchen in der Halle, das bereit ist, nackt auf die Bühne zu kommen?" Entsetztes Raunen im Saal. Ich sah, wie Georg und Phil sich angrinsten; Georg kicherte in sich hinein. Grant an seiner Schießbude dachte sich, ebenfalls lachend, seinen Teil. Henry zog eine Grimasse, schaute auf seine Uhr und sagte dann: "Machen Sie bitte schnell - wir haben nicht so viel Zeit!" Lachen nun auch in den Reihen des Publikums. Nach einer kurzen Weile bemerkte Henry dann: "Danke sehr - wir haben ein Mädchen gefunden - die anderen können sich wieder anziehen! Und", meinte er noch, "hier ist unser Girl!" In diesem Moment wurde das Bildnis eines fast nackten Mädchens auf einer Riesenleinwand eingeblendet. Alles amüsierte sich und johlte. Georg schaute verzückt auf die offenbar gezeichnete, beinahe unverhüllte Mädchengestalt. Dann wandte Georg sich wieder dem Publikum zu, noch immer lachend, und verkündete, dass das nächste Lied "Josephine Baker" sein würde. Als dies losging, schaute ich mir aus meiner Entfernung alle Vier genauer an. Georg sah schon aus etwa 8 Metern besser als im Fernsehen aus; er wirkte ebenso charmant wie höflich, etwas naiv, aber dabei immer ein wenig draufgängerisch. Phil erschien als Ulknudel, er war freundlich, süß und sehr kontaktfreudig, was sich auch später noch bestätigen sollte. Sein Gesicht war offenbar geschminkt. Ganz anders Grant; der sah aus, als sei er gerade von einem Mallorca-Urlaub zurückgekehrt und brauchte keine Schminke. Braun wie noch was, nur die Zähne weiß - so postierte er sich hinter seinem Schlagzeug auf. Grant war ein schlaksiger, äußerst dünner Typ, aber heb und charmant, wie eh und je. Immer hatte ich geglaubt, Henry sei dünner als Grant, aber ich irrte. Henry war etwas kräftiger und doch mit ein wenig mehr Fleisch auf den Rippen ausgestattet. Henry's Gesicht war attraktiv und pfiffig, sein Temperament witzig. Henry schlug in puncto Blässe in der Gruppe die Rekorde; er sah aus wie ein lebendiges Leichentuch. Ansonsten war Henry Marsh gegenüber Grant, der ernster und zurückhaltend wirkte, snobby und gemütlich-sarkastisch. Mehr von allen vieren würde ich später noch entdecken dürfen.
"Josephine Baker" spielten SAILOR ebenfalls besser als auf LP, rockiger arrangiert, und auch dafür ernteten sie riesigen Applaus. Schon wurden einzelne "Champagne"- und "Girls"-Rufe im Publikum laut. SAILOR jedoch gingen in ihrem Programm weiter und leiteten jetzt "Blame It On The Soft Spot" ein, welches ebenfalls ganz anders als auf Platte herüberkam. Ein umfangreiches Vorspiel, das kein Ende zu nehmen schien, was uns allen aber ungemein gefiel -und wie! - führte dazu, dass am Ende alle im Publikum mitsangen! Es war herrlich! Ich staunte, wie dieses Konzert ablief.
Nachdem SAILOR das Ende von "Blame It On The Soft Spot" abgespult hatten, was uns alle in Extase versetzt hatte, fummelte Georg neuerlich an seiner Gitarre herum. Dann kam Henry's großer Augenblick, als er das kommende Lied, ein Instrumental mit Georgs Charango, ansagen sollte. Wieder leicht grinsend pflanzte er sich vors Mikro und sagte nun "etwas ganz Besonderes" (übersetzt) an: "And now..." etwas dämlich sollte er Phil dabei ansehen, "our Philip is going to play the Guitarron" - wobei Phil - wegen des "Philip" - etwas beleidigt aus der Wäsche guckte, dann aber schnell wieder lachte, als er das riesige Guitarron in seine Hände nahm. Dann baute sich Phil seinerseits neben Henry auf, der in diesem Moment bemerken sollte: "Und unser schöner Georg....!" er machte eine Flatterbewegung zu Georg herüber, der irritiert eine Grimasse zog und Henry damit entzaubert dastehen ließ. "Ja - unser schöner Georg....!", wiederholte nun Phil mit gleicher Geste und blickte schmachtend zu Georg. Dieser würdigte seine beiden Mitstreiter keines Blickes mehr und ergriff sein Charango. "Und unser schöner Georg", setzte nun Henry noch einmal zur Ansage an - doch da entfuhr ihm ein uriger Schrei, über den die ganze Halle wahnsinnig lachen musste.
"Unser schöner....." - da war es wieder! Das Publikum konnte sich vor Lachen nicht mehr einkriegen! Auch Grant musste ungebremst lachen. Ein letztes Mal setzte Henry zu seiner Ansage an, nun mit Erfolg. "Und unser schöner Georg spielt sein kleines Charango". Leise kam das durchs Mikro. Trotzdem - wir lagen wieder alle am Boden vor Lachen, als wir Charango und Guitarron im Größenvergleich wahrnahmen. Auch Georg grinste jetzt. Und dann fand das versuchsweise langangesagte Instrumental doch noch statt. Dabei schienen die Scheinwerfer des Bühnenbildes gewollt verrückt zu spielen. Das Instrumental war ein schnelles, süßes Lied, man erkannte, das auch dies wieder von Georg verfasst worden war. Dieser lächelte immer wieder still in sich hinein; was machte es dem Kerl Spaß, Charango zu spielen!
Dann stellten sich Phil und Georg zusammen, nebeneinander - und spielten drauflos, dass die Fetzen flogen! Sie flippten auf der Bühne regelrecht aus! Als dieser Song zuende war, nahm der Applaus fast kein Ende mehr. Jetzt befand sich Henry neuerlich am Mikro (sein vorheriges Tief überwunden!), und sollte sich, wie zuvor des öfteren schon, nervös an die Revers seines weißen Hemdes fassen. Georg zupfte derweil fahrig an seiner Mützenkrempe. Das alles sah sehr süß aus, weil es so passte! Henry, die Stimmungskanone, grinste (wann grinste DER eigentlich nicht?!) und blickte zu Grant und Georg. Dieser hatte sich seine Gitarre geschnappt, gestimmt und Henry einen belustigten Blick zukommen lassen. Phil seinerseits hatte das Guitarron weggestellt und war wieder an sein Bass zurückgekehrt. Diese Zeit sollte Henry neuerlich nutzen, um wieder einen seiner Späße beim Publikum anzubringen. Henry schaute ins Publikum, Blitzlichthagel sollten derweil auf die Bühne regnen. Gerade das passte Henry nicht. Oder doch? Er lachte frech die Fotografen an und meinte: "Würdet Ihr mir wohl den Gefallen tun und mir die Objektive Eurer Kameras geben?" wieder ging ein belustigtes Raunen durchs Publikum. Was wollte er nun schon wieder? Objektive? Aber eigentlich hätte ich es mir denken können.... "Ich brauche die Objektive - natürlich für Kameras!" "Was will der?" lachend sah ich Sabine an, die genauso verseppelt dreinschaute wie ich. "Klar," Henry schien die Leute, die ihn nicht verstanden, auch kaum zu verstehen, "in Panama gibt es doch auch Kameras!"
Das war es ! Neuerlich mit "One, two, three..." leitete Georg "Panama" ein. Sofort sangen beim ersten Ton scheinbar ALLE mit. Jeder in der Halle schien, glaube ich, dieses Lied auswendig zu können. Georg versteckte zuckersüß ein Lächeln, als er das bemerkte. Der Text war bekannterweise nicht ganz jugendfrei, aber - was soll es? Als dann der instrumentale Teil von "Panama" drankam, ging Georg einfach vom Mikro weg und schaute sich selbstvergessen die Bühnenbildwand, Palme und die Jalousie mit der obskuren Dame hinter ihm an; er hatte sich nämlich auf seinen Absätzen umgedreht und präsentierte dem Publikum nun seine Schockoladen-Rückseite! War nicht zu verachten!
Als "Panama" zuende war, erfüllte ein Applaus die Halle, der meiner Meinung nach 20 Minuten gedauert hat. Natürlich nicht, aber mir kam es so vor, - so wahnsinnig war die Begeisterung, die hier überschwappte. Dann spielten SAILOR ohne Ansage einen Song, der sich in der Hauptsache auf Georgs Gitarre konzentrierte und auf das Nickelodeon - ein weiteres Instrumental also. Andächtig lauschte ich auch diesem Lied ergriffen und war hinüber, wie bei den Songs zuvor auch. Ich befand mich auf einem anderen Planeten, in einer anderen Welt - wo auch immer! Aber hier und jetzt war ich zuhause. Immer wieder starrte ich zu Georg und den anderen hinüber. Bald jedoch bekam ich Angst vor der eigenen Courage, meinen Weg irgendwann zu dieser Bühne zu bahnen. Ich hatte es so gewollt. Nur - wie würde ich es anstellen?
Ich hatte auch Sabine von den Briefen an die Vier erzählt, und sie hatte mich ermutigt, dass ich doch ohne weiteres den Weg nach vom schaffen sollte. Schüchternheit hin und her - ich hielt es auf meinem Platz jetzt auch nicht mehr länger aus. Ich musste nach vorne, wollte dorthin, kostete es, was es wollte! Sabine verstand, nickte, und ich stand auf. Meine Freundin befand sich noch immer neben mir, nur hielt sie jetzt meine Tasche und Jacke. Ich hatte nur noch meine Briefe an die Boys in der Tüte bei mir. Wir schauten uns kurz an. Jetzt musste es sein. Ich musste nach vorn, ohne, dass einer der Ordner, die strikt alle wieder auf ihre Plätze geschickt hatten, die es zuvor schon versucht hatten, zum Bühnenrand zu gelangen, auch mich wieder abwies. Sabine flüsterte mir noch etwas in der Art zu wie: "Komm, Du wirst das schon schaffen, und ich helfe Dir dabei!" Gut gesagt, dachte ich im Stillen. Und als das Instrumental dann zuende war, begann meine Schwerstarbeit. Die Briefe in der Hand, begab ich mich ganz langsam nach vorn. Vorbei an Fotografen, staunendem Publikum, abgelenkten Ordnern. Ich blieb stehen, schaute mich um; wo war Sabine geblieben? Sie stand seelenruhig Meter hinter mir und gab mir durch Zeichen Antrieb, nach vorn zu gehen, immer weiter.
Gut, ich tat es, während Georg ein neues Lied ansagte. "And now we're going to sing about two girls who look for love and romance - on a corner. Just 'Two Ladies On The Corner', which is another track of our new LP!" Wieder ein ganz neuer, unbekannter Song, den sie hier sangen! Das Lied fand ich klasse. Phil und Henry sangen durch eine Art Rohr, was sich phantastisch anhören sollte. Urig. Ich schaffte mich immer mehr an die Bühne heran. Meter für Meter. Und da stand einer der Ordner, der wie das Publikum auch verzückt den Songs lauschte und die Show bestaunte. Zögernd blieb ich stehen, schaute den Typen ängstlich an. Schickte er mich wieder zurück? Gottlob nein! Ganz im Gegenteil - er verzog das Gesicht und meinte kurz: "Na, dann geh doch schon nach vorne, ich hab nichts dagegen!" Das war der tolle Gipfel! Ich staunte, tat aber prompt, was er befohlen, und setzte meinen Weg nach vorn fort. Mein Gesicht brannte, mein Kopf dröhnte vor Aufregung. So etwas hatte ich noch nie zuvor gemacht. Und dann war ich am Ziel, am Rande der Bühne. Jetzt hatten die Ordner wohl schon weniger einzuwenden gehabt gegen den Fanansturm zur Bühne, denn einige andere Fans hatten sich auch schon dort eingefunden. Direkt an der Bühne, etwas rechts vom Hauptgang, hatte ich eine freie Stelle ergattert! Nun stellte ich etwas erschrocken fest, dass mich nur noch l Meter bestenfalls von meiner Lieblingsgruppe trennte! Rutschte mir jetzt mein Herz in die Hose vor Angst? Oh Mann! Mein Gesicht war noch immer heiß, doch meine Hände eiskalt. Tief im Inneren fühlte ich, glühte ich vor Aufregung. Und jetzt konnte ich - neben der enormen Lautstärke der Lautsprecher direkt neben der Bühne - auch alle vier SAILOR von Nahem bestaunen: Georg sah einfach unverschämt gut aus! Anders als von weitem, anders als im Fernsehen. Besser. Seine Augen waren von unergründlichstem Blau, und er kullerte oft mit ihnen. Georg war unrasiert, ein wenig jedenfalls. Er wirkte verspielt wie ein Schuljunge und zugleich verrucht wie ein Seemann. Perfekt. Neuerlich verzaubert harrte ich in meiner Reihe. Ich schrie nicht vor Begeisterung, fuchtelte nicht mit den Armen, hatte keinerlei Ambitionen, irgendwie meine Beherrschung zu verlieren, wie andere vielleicht. Wieso auch? Alles an meinen Gefühlen und Gedanken spielte sich dort ab, wo beide hingehörten: In meinem Herzen und meinem Kopf. Als nächstes erblickte ich Phil - er war wirklich sehr geschminkt, was sein hübsches Gesicht beileibe gar nicht benötigt hätte: Lippenstift, Lidschatten, Rouge - es fehlte nichts. Auch Phil sah besser aus in Wirklichkeit als in jedem Fernsehen. Er sah richtig klasse aus! Seine Augenfarbe: eisblau. Henry war charmant und sympathisch, trug so gut wie gar kein Make-up im Gesicht, was auch absolut in Ordnung war. Grant, nun ja, ein wenig mehr auf den Rippen hätte ihm wirklich nicht geschadet - war ein superdünnes Hemd, aber nicht unattraktiv. Er hatte hellblauen Lidschatten aufgelegt, und seine Augen waren ebenfalls blau. Grant besaß einen väterlichen Charme, den ich immer schon sehr geliebt habe. Dann war "Two Ladies On The Corner" beendet. Henry kehrte nun wieder ans Mikro zurück, schenkte Georg ein neues kurzes Lächeln und sagte dann das nächste Lied an: "Nun wollen wir etwas singen, was sie vielleicht kennen," bemerkte er überaus unbekümmert (Henry schien ein geborener Schauspieler zu sein). "Etwas", fuhr er fort, "was man schon einige Male in den Diskotheken spielte, was sie vielleicht selten mal im Radio hörten und - na ja, ein paar von Ihnen werden diese Platte vielleicht auch haben!" Dieser Schelm! Ich blickte auf meine Uhr; dabei sah ich, dass es mittlerweile schon halb 10 war. Dann sofort wanderte mein Blick wieder zur Bühne. Welch "bescheidenen Song" sagte Henry wohl an? "Passen Sie auf, hören Sie zu - vielleicht kennen Sie dieses Lied ja!" Ohne Ansage begannen die Knilche nun das Vorspiel zu "Girls, Girls, Girls!" Sowas!
Dieser Song war nun schon fast ein halbes Jahr lang mein unumstrittener Lieblingssong! Und wer kannte das denn nicht? Scherzbold! Phil brauchte seinen Bass diesmal nicht soviel zu bearbeiten, stattdessen konnte er nach Herzenslust auf der Bühne herumlaufen und alle Leute ärgern. Er lungerte bei Georg herum, schaute ihm auf die Finger, wie dieser spielte, und dann fiel sein durchdringender Skorpionblick auf ein paar Mädchen, die etwas weiter entfernt ebenfalls an der Bühne standen und die vier Seemänner anhimmelten. Ich glaube, Phil stand auf blonde Mädchen oder Frauen - er war sofort in ihrer Nähe! Er winkte eine nach der anderen zu sich nach vorn, mit dem kleinen Finger, und hielt ein Palaver mit ihnen ab, was begeistertes Händeschütteln und Herumtätscheln abschlossen. Wie von einem Prinzen geküsst, rauschten die Girls dann fort vom Bühnenrand, und Phil Schlawiner war in seinem Element. SAILOR brachten "Girls" einfach himmlisch! Erst hatte ich gedacht, dass sie es nicht mittendrin, sondern später als Zugabe brachten, aber gut! Ich stand direkt vor ihnen, mehr und mehr verzaubert, verwandelt, doch noch schüchtern, aber mit der Kraft, nicht wegzurennen. "Girls" erhielt frenetischen Applaus, der sich mit jedem der gigantischen Songs SAILORs noch immer steigerte. Alle vier waren sehr glücklich über ihren Erfolg, und sie ließen das Publikum dies auch wissen. Dann erschien Henry mit einem Mal ausgerüstet mit einem Xylophon in seiner Hand und fand damit den Übergang zum nächsten Song.
"Und nun", er flachste frech ins Mikro, "wollen wir über einen Mann singen, der leichten Mädchen das Geld aus den Taschen zieht!" Dabei schaute er kurz rüber zu Georg, der gerade wieder in sich hineinlächelte. Henry rühr lachend fort: "Sicherlich kennen Sie alle so einen Mann....", und stockte in einer Kunstpause, wartete Reaktionen aus dem Publikum ab. "Zuhälter!" schrie dann auch prompt jemand aus der vorderen Reihe von rechts. Alles lachte daraufhin, so auch ich. Und dann sollten Grant, Georg und Phil sich zu Henry gesellen und sich - du meine Güte - zum nächsten Lied fast genau mir gegenüber auf der Bühne aufbauen... Oh Mann! Nun konnte ich aus noch näherer Nähe einen nach dem anderen bewundern: Henry wirkte so schnuckelig, wie er da mit diesem Xylophon stand und zu singen begann; Phil, dessen Gesicht in diesem Augenblick wie das eines Babys wirkte, stimmte in diesen Gesang mit ein. Mann, war der Typ charmant! Henry stand dort oben als erster von links, dann folgte Phil, Grant und Georg. Jeder sang eine Strophe dieses unbekannten, supertollen Liedes! Zuerst Henry, der eine recht komische, doch originelle Stimme hatte, dann Phil, der mit einer eigenartigen Fistelstimme alles in den Schatten stellte, im Ernst - seine Stimme war die hellste und höchste von allen Vieren! Dann folgte Grant - dessen Stimme das Gegenteil von der Stimme Phils darstellte, nämlich einen tiefen Bass im Keller! Und Georg - na ja, dessen Stimme kannte man doch schon. Nie hätte ich gedacht, wie umgänglich, wie nett die Vier sein könnten, wie sie da leibhaftig so oben vor mir standen und sangen. Keiner wirkte auch nur im geringsten eingebildet oder unfreundlich. Sie waren so süß! All meine Angst fiel in diesen Augenblicken von mir ab. Ich konnte meine Blicke nicht abwenden von den Vieren, besonders von Georg, und ich beriet in Gedanken darüber, wann wohl die beste Gelegenheit dazu kommen würde, den Boys meine Briefe und Geschenke auf die Bühne zu werfen - oder die Sachen gar einem von ihnen in die Hand zu drücken! Als die Gruppe das feuchtfröhliche Lied über einen obskuren Zuhälter beendet hatte - sowohl die Melodie als auch der versaute Text gefielen mir supergut - wurde es plötzlich ganz dunkel im Saal. Während Georg seine Gitarre beiseitelegte, stellte sich Henry wieder wie gewohnt auf hinterm Mikro links und grinste neuerlich, als er das nächste Lied ansagte.
"Hey, Ihr!" rief Henry den Bühnenroadies zu, "könnt Ihr uns nicht eben helfen, die Sonne in den Mond zu verwandeln?" Keine Antwort. "Na gut!" Henry zog ein Gesicht. "Dann eben anders." Jetzt wandte er sich an das Publikum. "Könnt Ihr uns helfen, die Sonne in den Mond zu verwandeln?" Natürlich konnten wir! Und wir schrieen SAILOR ein irres "JAAA!" zu. "Ich zähle jetzt bis drei", Henry gab den Ton an, "und dann verwandeln wir die Sonne in den Mond!" Wir alle zählten mit ihm. Drei Sekunden später befand sich im Bühnenbild keine "Sonne mehr am Himmel" - so schaute vorher die Requisite aus, sondern es war tatsächlich eine Art Mond "aufgegangen"! Die Bühne war nun in ein seltsam gedämpftes, rötliches Licht getaucht. "Dürfen wir nun vorstellen", Henry wies auf Georg und seine Harfe, "dies ist Veracruziana! Sie wird unser nächstes Lied bestimmen!" Und damit begannen sie zu spielen. Insiderfans wussten natürlich, dass jetzt "Jacaranda" beginnen würde. Ein faszinierendes Instrumental, begleitet von Georgs liebevoll gezupften Harfenklängen. Die Lichteffekte wechselten dabei in schneller Folge im Takt, und das sah gar nicht mal schlecht aus. "Jacaranda" spielten SAILOR genau wie auf Platte. Überhaupt spielten SAILOR ihre Songs als Liveband super, kaum Aussetzer, die Stimmen irre gut, einige Songs wirklich besser als auf Platte. Ein noch heftiger Applaus als zuvor begleitete den Ausklang dieses Instrumentals. SAILOR bedankten sich, während Georg seinerseits sich höflich verbeugte. Dann ging das Saallicht wieder an. Ich verharrte - immer noch den allermeisten anderen Zuschauern voraus - weiter in meiner ersten Reihe direkt vor den Boys. Phil ergriff sein Guitarron, und zum zweiten Mal ging ein Raunen, begleitet von Lachen, durch den Zuschauerraum. Georg gab Phil ein kurzes Zeichen und gesellte sich mit seiner Gitarre zu ihm.
"Meine Damen und Herren", sagte Georg dem Publikum an, "Mr Phil Pickett mit seinem Guitarron!" Mr Pickett lachte. Überhaupt hatten alle Vier hier einen Riesenspaß, und es erübrigte sich zu sagen, dass sie glänzend miteinander auskamen. Phil stimmte zusammen mit Georg dann ein doch eher trauriges Lied an, welches offenbar von unglücklicher Liebe handelte. Der Titel hiervon ist mir bis heute leider nicht bekannt. Diesen Song brachten beide Jungs in Maßarbeit dar.
"Und jetzt möchte ich, dass das Licht ganz ausgeht!" sollte Georg hernach plötzlich ankündigen. Ich schaute mich erschrocken um; nun auch noch ganz im Dunkeln! Was hatten sie vor?
"Sind alle noch da?" hörten wir Georg im Dustern fragen. "Jaaa!" schrie wieder alles wie aus einem Mund. Und da ging auf der Bühne ein kleiner Lichtspot an, der ein grünes Licht genau auf Georg werfen sollte. Dieser gab gerade den Takt zu einem weiteren neuen Song an. Er war fremd, traurig, aber supertoll. Er hieß "Dancing" und nahm mich ziemlich mit. Georg sang es hinreißend und ich fand, er schmiss sich voll in seine Interpretation hinein. Jeder im Saal begann zu schunkeln, das konnte ich trotz des schwachen Lichtes, welches langsam herumschwenkte und zeitweise den Raum erhellte, wahrnehmen. Störend wirkten dabei nur die ständigen Blitzlichthagel, zeitweise waren sie sogar richtig unerträglich. Aber natürlich wollte jeder fotografieren, eine Erinnerung von alldem Phantastischen mitnehmen hier. Außer mir vielleicht. Dumm. Grr. Auch "Dancing" wurde dann mit riesigem Applaus verabschiedet.
Wieder erhellte sich danach sofort der Saal. Schlag auf Schlag sollte Henry zum nächsten Lied übergehen und es ansagen: "Ich suche einen Schlüssel!" klang er seltsam rüde. Georg näherte sich ihm und fragte: "Was suchst Du, mein Freund?" "Einen Schlüssel - damit ich die Tür öffnen kann!" Dies hatte er etwas konfus geäußert, aber jeder hatte verstanden. "Open Up The Door" sollte folgen. Ein Song, oh Herr - versaut auf der ganzen Linie! Alles schrie und johlte im Saal, als die Vier begannen aufzuspielen. Phil stand nun direkt neben Henry, er hatte kurz seine Bass-Seite des Nickelodeons verlassen und mischte als zweiter Nickelodeonspieler mit. Im Stillen wünschte ich mir die ganze Zeit schon, sie würden einmal direkt herunterschauen zu mir, aber noch geschah nichts dergleichen. Nun ja..... Und trotzdem sollte noch etwas eintreten, das würde ich nie vergessen....
Noch als Georg "Open Up The Door" gab, bekam Phil oben plötzlich seine "dollen 5 Minuten". Er winkte und tobte ausgelassen herum und wäre Georg beinahe um den Hals gefallen. Man, was war bloß mit dem los? Der Applaus der Applause folgte, als "Open Up The Door" zuende war. Meine Güte! Weitere Leute fanden sich jetzt um mich herum am Bühnenrand ein, immer mehr folgten. Mädchen, teils mit Freunden, Teils mit Freundinnen, manche aber auch allein, wie ich. Es wurde gut voll. Und jetzt folgte oben wieder etwas Komisches, falls es dafür noch Steigerungen gab, so spitze, wie sowohl Konzert als auch Kabarett-Einlagen dabei bisher waren. Grant Serpell hatte seine Schießbude verlassen und baute sich vor einem Mikro auf. Er lächelte und begrüßte erst einmal alle ausgiebig. Was war der für ein lieber Typ! Georg hatte sich ein paar Schritte vom Mikro entfernt, um Grant den Vortritt zu lassen, während er seine Gitarre stimmte. Grants Deutsch erschien etwas holperig, aber sehr herzlich und süß. "Wenn mein Deutsch nicht besonders ist, müssen Sie das entschuldigen; ich bin Franzose - und da kann man Englisch besser. Aber - ich wollte auch einmal etwas sagen, und da habe ich mir eine kleine Rede für heute Abend ausgedacht!" Eine Rede? Nanu, was vernahm ich da? Ließen wir uns überraschen. Georg lächelte zu Grant rüber, der fortfuhr, einige einleitende Worte zu seiner anstehenden Rede zu bringen: "Mir gefallt es hier sehr gut. Sie sind ein sehr nettes Publikum - doch nun wollte ich meine Rede eigentlich halten!" Er kramte in seiner Hosentasche, suchte offenbar nach einem Spickzettel, und fand ihn - in der einen Tasche zunächst nicht. Er suchte in der anderen Hosentasche, in einer der Gesäßtaschen - mein Gott, wieviele Taschen besaß diese Hose eigentlich? - aber er fand ihn nicht! Nach endlosem Kramen in seinem Hemd fand er den Zettel dann doch noch, aber als Grant loslegen wollte, tippte ihm Georg belustigt auf die Schulter und bemerkte: "Komm, Grant, wir haben keine Zeit und müssen doch noch singen!" Der schaute gut gespielt bedeppert drein und wollte aber durchaus seine Ansprache halten! "Ich wollte doch...." aber dann fügte er sich gutmütig und kehrte langsam zurück zu seinem Schlagzeug - unter riesigem Applaus für diese Einlage. Und da schaute Grant Serpell das erste Mal in meine Richtung, zu den Fans, die auf dieser Seite direkt am Bühnenrand standen. Und er erblickte mich. Ich warf ihm einen begeisterten Blick zu, den er mit einem Lächeln sofort erwiderte! Toll! Doch die Show war noch nicht vorbei. "Kommt Ihr mit uns ?" fragte Grant von seinem Schlagzeug aus das Publikum. Alles sah sich an, verstand ihn nicht ganz.
"Nach Downtown!" warf nun Georg mit ein, und da verstanden alle. "Let's Go To Town!" sollte folgen, und das war ganz nach meinem Geschmack. Zum Abschluss dieses grandiosen Songs würden sie alle wie wahnsinnig ihre Instrumente vergewaltigen, so schien es jedenfalls, wenn sie drauflos spielten! Ich flippte dermaßen aus, dass ich schon rotgeklatschte Hände hatte. Das gab bestimmt auch Muskelkater. Dieser Song war nach all den verträumten Liedern zuvor echt eine spritzige Abwechslung. Nach dem abebbenden Applaus kündigte Georg an, dass sie nun das letzte Lied dieses Abends zu singen gedachten, nachdem er jetzt noch seine Mitstreiter vorstellte. Ich war vor den Kopf gestoßen; wer nicht in diesem Moment!? Nach 80 Minuten wollten die schon gehen? Das ging doch gar nicht! Dann jedoch lauschte ich, was Georg noch zu sagen hatte. Ich freute mich, dass ich noch auf Zugaben hoffen konnte -und dann müsste er eigentlich kommen, mein großer Moment, nämlich die Briefe auf die Bühne zu katapultieren!....
Georg begann, seine Kollegen einzeln nacheinander vorzustellen. Zuerst nahm er sich Grant vor, dann Phil, zuletzt Henry. Abschließend stellte Georg eben noch sich selbst vor. Alle vier wurden - natürlich - mit überwältigendem Beifall bestätigt! Ich freute mich so wahnsinnig für meine Boys, dass sie soviel Liebe und Begeisterung hier erhielten. Georg sollte das vorerst letzte Lied für dieses Konzert ankündigen: "Und nun möchten wir alle noch über ein Mädchen singen, das besonders gern Schuhe mit hohen Absätzen trägt!" Es war "Stiletto Heels", welches sie spielen würden, und das war ihr gerade brandneues Lied, welches auch wieder ein Hit werden würde. Ausgelassen in die Tasten hauend leitete Phil den Anfang ein - und wieder ging das ganze Publikum mit!
Georg begann beispiellos zu singen. "Stiletto Heels" war superspitze. Nachdem sie es beendet hatten, sollten sie jedoch sofort von der Bühne verschwinden, zu meinem Leidwesen. Jetzt war alles in Aufruhr, auch die Leute vor der Bühne, sie begannen, lautstark "Zugabe, Zugabe!" zu schreien und dabei zu drängeln und zu schubsen. Ich bekam Angst, eingequetscht zu werden. Die Bühne lag derweilen in einem dunkelroten Scheinwerferlicht, was etwas unheimlich anmutete.
Ich hatte gelesen, dass am Ende von SAILOR-Konzerten oft Hysterie ausbrach und fürchtete, sowas hier jetzt erleben zu müssen. Alles schrie "We want more!", alles brüllte, drängte, johlte. Glücklicherweise aber hielt sich die Begeisterung doch in gewaltlosen Grenzen. Nach kurzer Zeit und nicht abebbenden "SAILOR, SAILOR"-Rufen - mir kam diese Zeit wie eine Ewigkeit vor - kehrten alle Vier SAILOR wieder auf die Bühne zurück. Der Ansager hinter der Bühne schrie von Neuem: "Hier sind noch einmal SAILOR!" und alles stimmte in sein Schreien mit ein! Ich hatte eiskalte Hände und zitterte. Mehr und mehr "Georg"-, "Phil"-, "Henry"- und "Grant"-Rufe durcheinander von Mädchen und Jungs gleichermaßen drangen um mich herum zu den Vieren auf die Bühne. Eine dreiste Blondine rechts neben mir stehend versuchte, Phil ganz massiv anzumachen, was ihm offenbar gefiel. Mit diesem Mädchen sollte Phil von der Bühne aus ausgiebig flirten. Was sich Fans so alles erlaubten! Na gut. Als alle Vier wieder vollzählig versammelt waren, griff Georg noch einmal zu seiner Gitarre. Die drei anderen übernahmen Schlagzeug, Nickelodeon und Bass und - ohne es anzusagen, legten sie mit einem Mal mit "A Glass Of Champagne" los! Dies war natürlich eines der Lieblingslieder des Publikums, und alle hatten auch lang genug darauf warten müssen. Schon, als das Anfangsintro begann, rastete alles vollkommen aus. Mein Moment war gekommen. Wenn dieses Lied zuende sein würde, schmiss ich meine Briefe für die Vier auf die Bühne... Trotz einer Riesenangst. Egal.
Fasziniert starrte ich zu SAILOR auf der Bühne; gerade jetzt tat es mir voller Wehmut wieder wahnsinnig leid, dass ich tatsächlich keinen Fotoapparat für dieses Traumereignis dabei hatte. Ich hätte die tollsten Fotos gemacht, ehrlich!
In Gedanken wandte ich mich wieder meinem Vorhaben zu; hoffentlich würde mir keiner der Ordner oder sonstwer die Briefe wegnehmen, und nochmals hoffentlich würden SAILOR die Geschenke an sie auch sehen. Für jeden einzelnen hatte ich eine Kleinigkeit gekauft. Natürlich wünschte ich mir, dass sie dadurch erkannten, wieviel sie mir bedeuteten.
Noch immer dachte ich darüber nach, da bemerkte ich plötzlich, wie mich von oben auf der Bühne eine Person anschaute. Georg sollte sich gerade direkt bei mir befinden, singend und in einer Gitarreneinlage von "Champagne", und blickte mich an! Erst glaubte ich, dass er mich gar nicht meinte, fühlte mich so gar nicht betroffen, und glaubte, er schaue möglicherweise zu einem Mädchen hinter mir. Aber nein! Als ich mich umschaute, standen da hinter mir keine Mädchen, sondern drei oder vier Jungs. Und da begriff ich, dass ich diejenige war, die Georg ansah. Oh nein! Gleich darauf sollte er mir ein kurzes Lächeln zuwerfen, ein wenig mechanisch zwar, aber er lächelte MICH an! Mich und keine andere in diesem Moment! Ich war so glücklich, das konnte man sich kaum vorstellen! Noch immer spielten sie "Champagne", aber bereits den Instrumentalpart zum Ende hin. Ich war noch immer ganz benommen von dem Blickkontakt - doch mein anderer Augenblick, die Geschenke auf die Bühne zu werfen, war nun gekommen! Gerade gedachte ich, die Tüte bumerangartig auf die Bühne zu werfen, da kam - "Champagne" war gerade zuende - jemand auf der Bühne in meine Richtung gelaufen - um mir die Tüte, die ich werfen wollte, aus der Hand zu nehmen!
Ein wenig erschrocken zuerst, registrierte ich dann erleichtert, dass es Henry Marsh war! Henry, der schneller war als Phil Pickett, denn auch dieser hatte sich angeschickt, mir die Tüte abzunehmen, statt Wurfsendung. Meine Verwirrung darüber war groß, doch sie wurde perfekt, als Henry nicht nur spontan meine Tüte entgegen nehmen sollte, die sonst quer über die Bühne geflogen wäre, nein - er gab mir witzig und aufgekratzt auch noch seine Hand, die ich natürlich enthusiastisch drücken sollte! Was geschah nur alles? Während Henry sich dann grinsend daran machte, neugierig in die Tüte zu blicken, der Applaus für "Champagne" währenddessen noch immer nicht verebben wollte und Phil dicht an dem Tütenprüfer Henry tänzelte, konnte ich mein Glück kaum mehr fassen. Meine Geschenke waren bei ihnen angekommen. Wie mich das beruhigte! In diesem kurzen Augenblick, ich hielt noch immer wie hypnotisiert meine Hände hoch, winkte der Gruppe zu und rief nach Phil, kam dieser zu mir und drückte mir urplötzlich - wie ein Wirbelwind - ebenfalls meine Hand, und zwar mit seinen beiden Händen zugleich!! Dabei lächelte er mir anerkennend zu und schaute zu mir, als würden wir uns schon ewig kennen. Ich dachte, ich falle um! Henry Marsh und Phil Pickett würde ich ewig dankbar sein für diese Aktion, das war wohl klar!
Henry warf mir, die Tüte in der einen Hand, mit der anderen Hand winkend, einen vielsagend-neugierigen Blick zu, ehe die Vier wieder - jetzt jedoch mitsamt meiner Geschenke-Tüte - von der Bühne gingen. Noch konnte ich nicht sortieren, was wie schnell da gerade abgelaufen war. Ich hatte die Hände von zweien meiner absoluten Lieblingsmusiker bekommen! Meine Güte!
Ich begriff noch immer nicht ganz, stellte mir vor, was Sabine dazu sagte, während ich mich umdrehte, nur sah ich Sabine im Gewühl gar nicht mehr. Auch egal. Weitere hartnäckige "Zugabe!"-Rufe folgten, die Leute waren einmal mehr von der Rolle und aus allen Häuschen. Die Bühne neuerlich in Schummerlicht gehüllt, stand ich weiter an meinem Platz - und brachte jetzt keinen einzigen Ton mehr heraus! Keinen. Keine wilde Geste, kein "Zugabe, Zugabe!", keinen Namen mehr, den ich rufen konnte. Ich war die Ruhe selbst, längst war ich das jetzt und starrte weiter fasziniert zur Bühne. Und nach einer Weile ging das Licht doch noch einmal an. SAILOR kamen ein weiteres Mal - und wurden wie Erlöser gefeiert.
Es war kaum mehr etwas hinzuzufügen. Die zweite Zugabe war einmal mehr ein Instrumental, welches ich nicht kannte. Aber ein superschönes, welches ich richtig genoss. Man merkte SAILOR allerdings kaum an, wie geschafft sie doch eigentlich von diesem Abend schon sein mussten.
Jetzt wollte ich es wissen: Wenn es schon so gut losgegangen war für mich, musste ich einfach auch noch von den beiden anderen die Hand ergattern. Jetzt entdeckte ich auch die "Kleine", den Floh aus Verl und die Weseler "Schnabbelschüssel" endlich auch in unmittelbarer Nähe vorn bei mir. Jetzt erst? Wo nur hatten die beiden sich die ganze Zeit aufgehalten?
Erwartungsvoll verbrachte ich die restliche, himmlische Zeit hier vor der Bühne. Das Instrumental war nun auch zu Ende, und nun bemerkte ich Grant Serpell, der sein Schlagzeug verlassen hatte, um sich seinerseits bei den Fans für den Wahnsinnsabend zu bedanken, vorn am Bühnenrand. Auch er hatte begonnen, den Fans die Hände zu schütteln. Doch Grant war noch zu weit entfernt von mir. Ich hatte nun schreckliche Angst, ob wohl auch Georg ? - und da war es auch schon passiert! Er sollte erst den beiden mir nicht bekannten Mädchen rechts neben mir die Hand geben, die sich mühsam nach vorn durchgekämpft hatten, und dann, ja dann sollte ich an die Reihe kommen! Georg beugte sich herunter zu mir und reichte mir seine Hand Dabei sollte er mir recht ernst in die Augen sehen. Mir war schwindelig, aber ich durfte nicht schlapp machen, nein bitte nicht! Oh lieber Gott... Seine Hand wirkte breit und war heiß vom Gitarrespielen, doch sie war weich. Georg hielt für den Bruchteil eines Augenblicks meines Lebens meine Hand umschlungen. Gottseidank hielt ich tapfer durch und spielte nicht den durchdrehenden Teenie. Nein, ich genoss ruhig und vollkommen verklärt diesen sagenhaften Moment. Aber gleich darauf war es wieder vorbei, wie ein kurzer Zauber. Georg wandte sich danach natürlich auch den anderen Fans zu.
Trotzdem -jetzt war es ganz vorbei mit mir. Bevor meine schlappen Beine ganz nachgaben, wollte ich aber doch noch durchaus auch Grants Hand erwischen - und ich erhielt sie gerade noch als eine der letzten Fans, deren Hände er schüttelte, begleitet von seinem superlieben Lächeln. Grant war ein so süßer Typ, das glaubte man gar nicht! Aber dann sollten alle vier SAILOR endgültig von der Bühne gehen, und das Konzert war vorüber.
Einige Leute begannen jetzt zu pfeifen, bemerkten lautstark, dass es doch viel zu kurz gewesen war, wie auch ich fand, aber ich hätte mit der Gruppe sowieso die Nacht durchmachen können! Es war gerade 22.20 Uhr. Mehr als 90 Minuten hatten SAILOR also ihren Fans die Ehre gegeben. Fast standen mir die Tränen in den Augen, nein, das war alles zuviel für mich gewesen! Wie in Trance begann ich, wackelig meinen Weg zu Sabine zurückzuschwanken, die doch etliche Meter entfernt von mir am Rand der ersten Reihe stand und auf mich wartete. "Ich hab die Hand von allen Vieren bekommen!" war das erste und einzige, was ich nur mühsam hervorbrachte, bevor ich einer verdutzten Sabine erschöpft in die Arme fiel und für einen Moment dort erstmal verharrte. Auch sie freute sich für mich sehr und wollte später natürlich alle Einzelheiten höchst präzise wissen. Ich war kaum in der Lage zu laufen, aus der Halle herauszugehen und es sprudelte nur so aus mir hervor. Sabine lauschte begeistert und fast ein wenig neidisch.
Vor der Halle, an der frischen Luft, wurde mein Kopf ein wenig klarer, und ich fühlte mich wieder ein bisschen stärker. Mann, was hatten mich die Boys schwach gemacht! Aber das war es wert gewesen - und das würde es immer sein. Sabines Mutter erwartete uns schon im Auto bei der Halle und sollte uns wohlbehalten wieder nach Bochum bringen. Ich hatte natürlich fast die ganze Fahrt über nichts anderes zu tun, als drauflos zu berichten, mit überschwappender Begeisterung und meiner grenzenlosen Liebe zu SAILOR.
Ich sagte zu Sabine, dass ich meine rechte Hand nie mehr waschen würde, was natürlich kaum möglich sein würde, hätte mich am nächsten Tag schon die Wirklichkeit wieder eingeholt. Aber warum sollte ich nicht einmal so richtig spinnen? Schließlich war ich nicht die einzige. Es gab so viele Geschichten von schwärmenden, durchdrehenden Fans. Zwar hatte ich nicht glauben wollen, selbst auch einmal so zu fühlen oder zu denken - doch was tat man nicht alles, wenn man so umgehauen war?
Auch, wenn ich das Tourposter nirgendwo mehr bekam, auch, wenn ich niemals erfahren sollte, wie SAILOR meine Briefgeschenke gefunden haben, dieses Konzert war so umwerfend gewesen, so toll und grandios, dass ich es nie, niemals vergessen würde, meine phantastischen Boys nicht und - eigentlich diesen gesamten 11. Oktober 1976 nicht. Das wusste ich.
Nach diesem Konzert liebte ich SAILOR noch mehr, und ich wusste, ich würde sie bis in alle Ewigkeit lieben.
Es war einfach toll.
Gab es noch irgendetwas hinzuzufügen?
Ursula
Copyright by Ursula Porwollik


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